Flammenbucht
Dom betreten kann, wann immer es mir beliebt. Heute noch wollen die Fürsten den ansässigen Kurator zwingen, den Dom zu räumen. Er ist ein Anhänger Nhordukaels; seit Wochen verschanzt er sich im Dom und hetzt die Bevölkerung gegen die Obrigkeit auf. Doch sobald er beseitigt ist, wird uns das Verlies der Schriften offenstehen.«
»Der Kurator wird den Dom nicht einfach so aufgeben«, warnte die erste Stimme. »Die Kirche des Tathril ist gespalten; beide Lager kämpfen erbittert um die Macht der Quellen. Und auch diesem Hohenpriester ist nicht zu trauen. Bars Balicor steht mit finsteren Mächten im Bunde; zudem hat er großen Einfluß auf den Jungen.« »Auf meinen geliebten Gemahl?« Die zweite Frau stieß ein Kichern aus. »Es scheint mir eher andersherum zu sein. Bars Balicor fürchtet sich vor Uliman, und ich kann es ihm nicht einmal verdenken. Dieses Kind ist ernst und verschlagen, ohne jede Fröhlichkeit oder Wildheit, die einen Knaben in seinem Alter auszeichnen. Ich habe seit unserer Trauung keine zehn Worte mit ihm gewechselt. Anfangs glaubte ich, er meidet meine Nähe, weil ich eine Frau bin; denn was ängstigt einen zwölfjährigen Jungen mehr als der weibliche Körper?« Sie lachte auf. »Doch es ist mehr als das. Ich kann in Uliman keine kindlichen Züge erkennen; in seinen Blicken lauert etwas Ungutes, Grausames. Glaube mir, Sai'Kanee: er ist weit mehr als ein harmloser Knabe, den das Schicksal auf den Kaiserthron gesetzt hat.«
Jundala Geneder schlich sich zur Hecke, versuchte durch das Zweigwerk die Sprecherinnen auszumachen. Sie fand schließlich eine Lücke im Geäst und erhaschte einen Blick auf die arphatische Königin. Inthara stand am Rand eines kleineren Blumenbeetes; sie trug ein weißes Kleid, das oberhalb der Knie endete. Mit ihren nackten Füßen stocherte sie gedankenverloren in der Erde herum, während sie mit ihrer Begleiterin sprach. Diese war nicht zu erkennen, doch Jundala vermutete, daß es sich um die Priesterin des Todesgottes Kubeth handelte, die stets in Intharas Nähe weilte.
»Ihr habt recht, Herrin; niemand kann wissen, welchen Einflüssen der Knabe in Troublinien ausgesetzt war. Wie bedauerlich, daß der Silberne Kreis Ulimans Vater ermordete. Akendor Thayrin wäre Euch ein gefügiger Gemahl gewesen; er wäre Eurer Schönheit rettungslos verfallen und hätte unseren Plänen nicht im Weg gestanden.«
Inthara zuckte mit den Schultern. »Um ehrlich zu sein, bin ich froh, nicht mit dem Schwächling Akendor das Bett teilen zu müssen. Uliman ist ein weitaus bequemerer Ehemann. Es werden Jahre vergehen, bis sein Interesse am Liebesspiel geweckt wird; und bis dahin ist unsere lächerliche Episode in Sithar hoffentlich beendet.« »Ulimans Alter stellt ein Problem dar«, warnte die Priesterin Sai'Kanee. »Wie wollt Ihr dem Thronrat Euren derzeitigen Zustand erklären? Die Fürsten werden diese Täuschung erkennen und die Eheschließung als ungültig betrachten.« Sie senkte die Stimme. »Es war zu früh, Herrin, zu unbedacht - ein Fehler, den wir ungeschehen machen sollten.«
Die Königin wirbelte herum, ihr Gesicht zornverzerrt; deutlich hob sich die Narbe auf ihrer geröteten Wange ab. »Du selbst hast mir damals in Praa geraten, den Zeitpunkt zu nutzen! Du sagtest, es wäre vorherbestimmt!« »Damals wußte ich nichts von Akendors Tod«, verteidigte sich Sai'Kanee. »Es wird nicht die letzte Gelegenheit sein, Herrin. Ihr seid noch jung, und was ihn betrifft, so wird er Euch auch ein zweites Mal nicht widerstehen.« Sie hielt kurz inne. »Ich kenne einige Kräuter, die sehr zuverlässig wirken. Es wird ganz schmerzlos sein, glaubt mir…«
»Niemals! Ich werde es bekommen, Sai'Kanee, so wie du es vorausgesagt hast - und es wird sein Kind sein!« Inthara legte ihre Hände auf den Bauch. »Wer weiß, ob er die nächsten Kalender überlebt? Dieses Reich ist dem Untergang geweiht, die Fürsten des Thronrats entzweit stetiges Mißtrauen. Eines Tages werden sie wie wilde Tiere übereinander herfallen. Wird er aus diesem Kampf unbeschadet hervorgehen? Ach, ich wünschte, es wäre so! Doch ich weiß, daß sein Leben in ständiger Gefahr ist; er hat sich zu viele Feinde gemacht.«
Von wem spricht sie?
Gebannt starrte Jundala durch das Geäst der Hecke auf das Gesicht der jungen Kaiserin, die sich das schwarze Haar aus der Stirn strich.
»Ihr habt recht, Herrin«, antwortete die Kubeth-Priesterin nach kurzem Zögern. »Es wäre unvernünftig, das Schicksal auf die Probe zu stellen.
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