Flammenbucht
Thronrat nachhaken, ob der Klippenorden nicht auch an einem anderen Ort seinen Aufgaben nachgehen kann.«
Sinustre wirkte zufrieden. »Varas Bürger werden einen Abzug der Klippenritter zu schätzen wissen. Wer weiß, vielleicht bitten sie vor Dankbarkeit sogar den Kaiser darum, das Fürstentum Varona zurück in Eure Hände zu legen.« Ihre Hand umspielte das Samtband an ihrem Hals, und Baniter schien diese Geste ein Ausdruck für die gefährliche Wendung zu sein, die ihr Gespräch genommen hatte. »Mehrere Bürger haben sich mir gegenüber für eine Ablösung von Hamalov Lomis ausgesprochen. Doch wir sollten in der Öffentlichkeit nicht zu viele Worte darüber verlieren, nicht wahr?« Sie drängte sich an Baniter heran, so daß er den dezenten Rosenduft ihrer Haut riechen konnte. »Es gibt in diesem Haus einige verschwiegene Hinterzimmer. Was haltet Ihr davon, wenn wir uns dorthin zurückziehen und gemeinsam über diese Angelegenheit nachdenken?«
Baniter verneigte sich höflich. »Euer Angebot ehrt mich, doch leider habe ich heute noch eine Menge anderer Verpflichtungen. Wenn Ihr mich allerdings zum Archiv der Stadt begleiten wollt, wäre dies eine Ehre für mich - und eine Gelegenheit, unser Gespräch fortzusetzen.«
Falls Baniters Zurückweisung sie enttäuschte, konnte Sinustre Cascodi dies hervorragend verbergen. »Den Weg werdet Ihr allein finden. Das Archiv ist in einem alten Turm in der Weststadt untergebracht, in der Nähe eines stillgelegten Kanals. Richtet dem Archivar einfach meine Grüße aus; dann wird er Euch einlassen und über Euren Besuch Stillschweigen bewahren.«
Baniter bedankte sich mit einem Handkuß. Sinustres Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln, und mit einer stolzen Drehung wandte sie sich von ihm ab, um zu ihren Gästen zurückzukehren.
Baniter beobachtete sie noch eine Weile, bis er sich von ihrem Anblick losriß und die Wendeltreppe emporstieg.
Eine äußerst gefährliche Frau… ich sollte mich hüten, sie mir zur Feindin zu machen. Doch solange die Dame Sinustre auf meiner Seite steht, werden es Scorutar und Binhipar schwer haben, sich in Vara zu behaupten
-
und das eröffnet mir neue Möglichkeiten.
Wieder und wieder huschten Jundala Geneders Augen über das Pergament, verfingen sich in den geschwungenen Federstrichen, während sie die Botschaft der Schriftrolle zu entschlüsseln versuchte. Seit dem frühen Morgen sichtete sie Baniters Korrespondenz. Unzählige Briefe hatten ihren Gemahl in den vergangenen Tagen erreicht. Händler baten den ganatischen Fürsten um Unterstützung für mehr oder minder aussichtsreiche Geschäfte, Ritter boten ihre Dienste an oder äußerten den Wunsch, unter der ganatischen Fahne gegen die Goldei ziehen zu dürfen, Bürger hießen den Fürsten in der Stadt willkommen oder übermittelten ihm Segenswünsche. Die Menschen von Vara setzten große Hoffnungen in Baniter Geneder, und aus vielen Briefen sprach die Erwartung, daß er den verhaßten Hamalov Lomis bald ablösen werde.
Allein diese Schriftrolle unterschied sich von den übrigen. Ein Bote hatte sie in den Mittagsstunden im Palast abgeliefert, mit der Bitte um schnellstmögliche Beantwortung. Es handelte sich um ein versiegeltes Pergament; die Wachsplakette zeigte ein brennendes Segelschiff. Es war das Zeichen des Bundes der Südsegler, eines mächtigen Seefahrtsordens; und die Botschaft war so eigenartig, daß Jundala sie mehrmals lesen mußte, um ihren Sinn zu erfassen:
Wenn die Flamme erlischt und die Wellen sich türmen
holt das tückische Meer sich die Küste zurück
der Wind wird erwachen, er droht uns mit Stürmen
doch die Suche, die Suche muß weitergehen.
Wenn das Silber uns all seine Kräfte versagt
bleibt das tobende Wasser uns feindlich gesinnt
wenn ein goldener Mast am Horizont ragt
muß die Suche, die Suche doch weitergehen.
Die Furcht ist ein Anker, sie hält uns am Grund
wenn die reißende Flut unsre Inseln verschlingt
und wenn Gharax versinkt im ewigen Schlund
muß die Suche, die Suche doch weitergehen.
Gedenkt eurer Pflichten, gedenkt der Versprechen
die ihr Fürsten des Reiches den Südseglern gabt
gedenkt eurer Ängste, gedenkt der Gefahren
und gebt uns an Hilfe, was immer ihr habt
denn die Wogen der Zeit werden Gharax verwehen
doch die Suche, die Suche muß weitergehen.
Sicherlich war Baniter nicht der einzige Fürst, der diese Botschaft erhalten hatte. Der Bund der Südsegler war bekannt dafür, seine skurrilen Bettelbriefe stets an alle Angehörigen des
Weitere Kostenlose Bücher