Flammender Himmel
helfen.
Zuerst bewegte sich Derry noch etwas ungeschickt, dann aber zunehmend sicherer.
»Du bist noch nicht viel mit diesen Krücken rumgelaufen, stimmt’s?« fragte sie.
Derry schüttelte wortlos den Kopf. Er sagte nichts, denn er wußte, daß der stechende Schmerz, der in Wellen von seinem gebrochenen Fußgelenk ausging, in seiner Stimme mitgeschwungen hätte, und er wollte vermeiden, daß Angel merkte, wie weh es tat.
»Wo sind die Schmerztabletten?« meinte Angel daraufhin in einem sachlichen Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Derry schöpfte tief Atem.
»Du hast damals vor drei Jahren auch keine Schmerzmittel genommen«, sagte er.
»Zuerst schon«, erwiderte Angel. »Zu oft und zu viele. Aber das hier ist etwas anderes, Derry. Du bist anders als ich damals. Nimm wenigstens eine, bitte. Ich bleibe auch bei dir. Falls dir schwindlig wird und du vergißt, welches Jahr wir haben, bin ich für dich da.«
Angel blickte mit großen, traurigen Augen zu Derry auf. Er wollte widersprechen, sank dann jedoch ergeben auf seine Krücken. Gegen die schmerzvollen Erinnerungen in ihren Augen kam er nicht an.
»Woher wußtest du, wovor ich Angst hatte?« fragte Derry.
»Weil ich’s selbst durchgemacht habe«, antwortete sie einfach.
Sie erhob sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn auf die Wange. Derry schloß die Augen und lächelte.
»Es ist schön, dich wieder hier zu haben«, sagte er leise. »Die Tabletten liegen auf der Anrichte in der Küche.«
»Brauchst du Hilfe im Bad?« fragte Angel und wandte sich bereits um, um die Tabletten zu holen.
»Wenn ich ins Klo fallen sollte, werd’ ich dich schon rufen«, sagte Derry und grinste. »Fast wie in alten Zeiten, wie?«
Sie lachte traurig und schüttelte den Kopf.
»Ich hätte mir wirklich eine bessere Begrüßung vorstellen können«, sagte sie.
Lächelnd wandte sich Derry um und humpelte den Gang entlang in Richtung Badezimmer.
»Achte auf die lose Kachel im Gang«, rief Angel hinter ihm her.
»Ich weiß, ich weiß. Ich wohne schließlich schon länger hier als du.«
Hawk trat näher, als Angel einen der Küchenschränke aufmachte und ein Glas herausholte. Sie füllte es mit Wasser und drehte sich um.
Hawk stand so dicht hinter ihr, daß sie erschrocken zusammenfuhr.
»Sie leben mit Derry zusammen?« fragte er mit unbewegter Stimme.
»Nur während der Sommermonate«, sagte sie.
Sie stellte das Glas beiseite und mühte sich mit dem Deckel des Tablettenröhrchens ab.
»Den Rest des Jahres über lebe ich in Seattle«, fuhr sie fort. »Aber ich komme her, wann immer ich kann. Vor allem an Weihnachten.«
Angel hielt inne, als sie an ihr erstes Weihnachten ohne ihre Familie denken mußte. Ohne Grant. Weihnachten war immer am schlimmsten. An Weihnachten kamen die alte Wut und der alte Kummer am stärksten hoch.
Sie und Derry verbrachten die Weihnachtsferien immer zusammen, denn beide wußten, daß der andere Verständnis dafür haben würde, wenn eher Tränen flossen und Trauer herrschte als fröhliche Ausgelassenheit.
Aber daran wollte Angel im Moment nicht denken. Tränen brachten die Toten auch nicht wieder zurück.
Sie rang energisch mit dem Röhrchendeckel, der schließlich aufsprang und in weitem Bogen auf den Boden flog.
Hawk hob ihn mit einer raschen, geschmeidigen Bewegung auf. Er hatte sowohl die Traurigkeit als auch den ... Mut ... in Angels Augen gelesen. Er fragte sich, welche Gedanken ihr wohl soviel Kummer bereiteten.
Oder macht sie mir das alles bloß vor? Die Traurigkeit ? Die Entschlossenheit? fragte er sich. Hat ausgerechnet sie meine Achillesferse entdeckt, etwas, was noch keine andere Frau geschafft hat?
Spürt sie irgendwie, daß ich nichts mehr respektiere und bewundere als den Mut, den man braucht, um sich von Schicksalsschlägen zu erholen und sein Leben wieder in den Griff zu bekommen?
»Danke«, sagte Angel gepreßt und nahm den Deckel aus Hawks langen, kräftigen Fingern.
»Leben Sie schon lange mit Derry zusammen?« fragte er.
»Seit drei Jahren«, antwortete sie.
Sie hielt die Hand auf und schüttelte eine Tablette heraus.
»Im Sommer und während der Ferien«, meinte Hawk in fast neutralem Ton.
Etwas in seiner Stimme ließ Angels Kopf hochfahren. Ein paar hellblonde, samtige Strähnen fielen über ihre Brüste und bildeten einen sinnlichen Kontrast zu ihrem schwarzen Seidenkleid.
»Hat Ihnen Derry denn nichts erzählt?« fragte sie. »Wir sind mehr oder weniger zusammen aufgewachsen.«
»Ja, er hat’s mir
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