Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
und der Hund in die Waschküche schlüpft und Blut aus ihrem zertrümmerten Schädel schleckt, während sie langsam ihr Leben aushaucht.
5
JEMAND HAT EINEN GROßEN ROTEN APFEL auf dem Tisch vergessen. Er glänzt und sieht wunderschön aus. Sie denkt, dass sie ihn essen und sich anschließend nichts anmerken lassen wird. Sich nicht um die Fragen scheren wird, die Litaneien gar nicht hören, sondern nur dasitzen und mürrisch aus der Wäsche gucken wird.
Sie streckt die Hand aus, aber als sie den Apfel endlich festhält, spürt sie, dass er vollkommen verfault ist.
Ihre Finger sinken in das Kalte und Feuchte ein.
Nina Molander wird davon wach, dass sie die Hand zurückzieht. Es ist mitten in der Nacht. Sie liegt in ihrem Bett. Das einzige Geräusch ist das Bellen des Hundes auf dem Hof. Das neue Medikament lässt sie nachts immer wach werden, weil sie aufstehen und pinkeln muss. Waden und Füße schwellen an, aber sie braucht das Medikament, denn sonst verfinstern sich ihre Gedanken, und sie interessiert sich für nichts mehr und hat für nichts anderes mehr Kraft, als dazuliegen und die Augen zu schließen.
Sie denkt, dass sie ein bisschen Licht gebrauchen könnte, etwas, worauf sie sich freuen kann. Nicht immer nur den Tod, nicht immer nur Gedanken an den Tod.
Nina schlägt die Decke zur Seite, setzt die Füße auf den warmen Holzfußboden und steigt aus dem Bett. Sie ist fünfzehn und hat glatte, blonde Haare. Sie ist kräftig gebaut, mit breiten Hüften und großen Brüsten. Das weiße Flanellnachthemd spannt über ihrem Bauch.
In der Einrichtung ist es still, und der Flur wird in das grüne Licht des Schildes getaucht, das den Notausgang markiert.
Hinter einer Tür hört Nina ein seltsames Flüstern und denkt, dass die anderen Mädchen feiern, aber mal wieder keiner von ihnen auf die Idee gekommen ist, sie zu fragen, ob sie mitmachen will.
Das will ich auch gar nicht, denkt sie.
Der Geruch von erloschenem Feuer hängt in der Luft. Wieder fängt der Hund an zu bellen. Im Flur ist der Fußboden kälter. Sie bemüht sich nicht, leise zu gehen, hat große Lust, die Tür zur Toilette ein paar Mal zuzuschlagen. Es ist ihr egal, dass Almira dann wütend wird, dass sie einem dann Sachen in den Rücken wirft.
Die alten Dielen knarren leise. Nina setzt ihren Weg zur Toilette fort, bleibt aber stehen, als sie unter ihrem rechten Fuß etwas Feuchtes spürt. Eine dunkle Pfütze hat sich unter der Tür zum Isolierzimmer gebildet, in dem Miranda schläft. Nina steht zunächst nur still da und weiß nicht, was sie tun soll, sieht dann jedoch, dass der Schlüssel im Schloss steckt.
Das ist merkwürdig.
Sie streckt die Hand nach der glänzenden Klinke aus, öffnet die Tür, tritt ein und schaltet das Licht an.
Überall ist Blut – es tropft, glänzt und fließt.
Miranda liegt auf dem Bett.
Nina weicht einige Schritte zurück und merkt nicht, dass sie sich in die Hose macht. Sie stützt sich mit der Hand an der Wand ab, sieht die blutigen Schuhabdrücke auf dem Fußboden und glaubt, dass sie ohnmächtig werden wird.
Sie dreht sich um, ist im Flur, öffnet die Tür zum Nebenzimmer, schaltet die Deckenlampe an, tritt ein und rüttelt an Carolines Schulter.
»Miranda ist verletzt«, flüstert sie. »Ich glaube, sie ist verletzt.«
»Was machst du in meinem Zimmer?«, fragt Caroline und setzt sich im Bett auf. »Verdammt, wie viel Uhr ist es überhaupt?«
»Da ist Blut auf dem Fußboden«, schreit Nina.
»Beruhige dich.«
6
NINA ATMET VIEL ZU SCHNELL , sieht Caroline in die Augen, muss dafür sorgen, dass sie es begreift, ist zugleich jedoch über ihre eigene Stimme verblüfft, darüber, dass sie sich traut, mitten in der Nacht so zu schreien.
»Da ist überall Blut!«
»Sei still«, zischt Caroline und steht auf.
Ninas Rufe haben die anderen geweckt, aus den übrigen Zimmern dringen bereits erste Stimmen.
»Komm mit«, sagt Nina und kratzt sich angsterfüllt die Arme. »Miranda sieht seltsam aus, du musst sie dir ansehen, du musst …«
»Kannst du dich jetzt bitte beruhigen? Ich sehe es mir ja an, aber ich bin mir sicher, dass …«
Aus dem Flur dringt ein Schrei zu ihnen herein. Er kommt von der kleinen Tuula. Caroline eilt aus dem Zimmer. Tuula starrt in das Isolierzimmer. Ihre Augen sind weit aufgerissen. Indie tritt in den Flur und kratzt sich in der Achselhöhle.
Caroline zieht Tuula weg, sieht jedoch kurz das Blut auf den Wänden und Mirandas weißem Körper. Ihr Herz schlägt schnell. Sie
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