Flammenopfer
geklärt.«
» Den hast du auch schon aufgescheucht?«
» Du kennst ihn.«
» Ja. Und dich kenne ich auch.«
Er hörte wieder das Saugen an der Zigarette.
» Wolf, sag mir noch, wer dich an die Leiche rangelassen hat. Kriegen wir da kein Problem?«
Nach längerer Pause nannte Wolfgang Lichtenberg einen adligen Namen, und Kai Sternenberg wusste, dass sie nichts zu befürchten hatten.
Der Mann war ihnen gegenüber immer loyal, weil seine einzige Ethik darin zu bestehen schien, die Todesursachen optimal aufzuklären. Über Jahre hinweg hatte Sternenberg in den Gesprächen mit ihm versucht, ihn einzuordnen oder eines der Klischees bestätigt zu finden, das über Pathologen verbreitet ist. Doch dieser Mann sah weder aus wie eine Leiche, noch machte es ihm übermäßig Spaß, Opfer zu sezieren. Er war weder attraktiv noch hässlich, weder schlank noch fett, noch aß er beim Obduzieren Butterstullen oder Pizza, er war ein Mann ohne Eigenschaften. Doch selbst diesem Bild schien er nicht zu entsprechen. Wenn Sternenberg nicht selbst von Angesicht zu Angesicht mit ihm gesprochen hätte, hätte er an dessen Existenz gezweifelt. Sogar den Namen konnte er sich nicht merken.
» Hast du noch was?«
» Rabein ist verheiratet gewesen. Seine junge Frau lebt in Spanien, sie sind aber nicht getrennt. Die Kinder waren bei ihrer Mutter, sonst hätte es sie auch erwischt.«
» Habt ihr die Frau schon informiert?«
» Nein. Das machen Traubes Mannen.«
» Ach ja.«
» Rabein war alkoholisiert.«
» Wie Jarczynski?«
» Na ja, wird ein Glas Wein getrunken haben.«
Im Hintergrund war eine andere Stimme zu hören. Dann sagte Wolfgang Lichtenberg: » Also, es müssten eher zwei Flaschen Wein gewesen sein.«
» Ich danke dir. Soll ich mich in der Fehrbelliner umsehen? Ist nicht weit von hier.«
» Deshalb rufe ich eigentlich an.«
» Ich freue mich, dass meine Mitarbeiter mir sagen, was ich tun soll.«
» Ist es falsch?«
» Sicher nicht. Besten Dank.«
Sternenberg saß im Auto und zählte die Fehler zusammen, die er in der letzten halben Stunde begangen hatte.
Er hatte zugesagt, Sprotte zu nehmen, obwohl er für den Frühdienst eingeteilt war. Anstatt schlafen zu gehen hatte er sich ein Weizenbier in den Hals geschüttet – und das auch nicht fehlerfrei. Nun fuhr er trotz Bier mit seinem Wagen, wenn auch nur ein paar hundert Meter.
Und schließlich hatte er, bevor er losgegangen war, doch noch die restlichen Anrufe abgehört. Jemand von der Telefonseelsorge flehte, er möge auf ein paar Nachtstunden vorbeikommen, weil alle im Urlaub seien und die Apparate sonst unbesetzt bleiben müssten.
Von der Drehleiter aus kühlte die Feuerwehr die Reste der Rabein’schen Wohnung mit Wasser. Das Haus war weniger hoch als das von Anselm Jarczynski. Zwei Anwälte kommen binnen zwei Tagen in ihren Dachgeschosswohnungen im Prenzlauer Berg oder in Mitte bei einem Brand ums Leben. Beides Männer. Beide hatten Beziehungen zu Frauen, aber die Frauen waren nicht in der Wohnung. Von Jarczynskis Liebesleben wissen wir nicht viel, von Rabein nur, dass Ehefrau und Kinder außer Landes sind.
Er sah hoch ins Scheinwerferlicht und versuchte, das Dachgeschoss gedanklich zu rekonstruieren. Dort, wo die Flammen etwas verschont hatten, schimmerten Aluminiumplatten. Offenbar wohnte auch Rabein in einer frisch restaurierten oder neugebauten Penthausetage. Zwei Anwälte, die sich mit Immobilien beschäftigen, sterben in schicken neuen Appartements.
Sternenberg überlegte, was eine Dachterrasse für Brandstiftung prädestinierte. Zum einen sind sie oft über die Nachbarhäuser erreichbar, und sie eignen sich für die schnelle Flucht. Beide Brände entstanden im Schutz der Dunkelheit.
Zum anderen greift ein Brand auf dem Dach nicht so schnell auf andere Etagen über. Ein Anschlag dort ist also eine begrenzte Aktion. Allerdings fiel ihm ein, dass der Täter bei einer nächtlichen Brandstiftung den Tod der schlafenden Bewohner einkalkuliert – oder billigend in Kauf nimmt, wie die Juristen sagen würden.
Für einen gezielten und feigen Mord müsste der Täter einen abgrundtiefen Hass gegen einen Immobilienanwalt hegen, Advokaten mag nicht jeder, das reicht als Motiv aber nicht. Hier waren bedeutende Besitztümer im Spiel. Waren Jarczynski und Rabein ihrer Eitelkeit wegen verhasst? Das Dezernat benötigte mehr Information.
Sie mussten wissen, ob sich Rabein und Jarczynski nicht doch kannten. Hatten sie dieselben Mandanten – ohne voneinander zu
Weitere Kostenlose Bücher