Flammenopfer
Die blonden Haare waren frisch gewaschen, standen allerdings etwas wirr vom Kopf ab. Die bald Siebzigjährige versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass ihr der unbekleidete Oberkörper des Polizisten aufgefallen war. Allerdings hatte sie ihn gefragt, ob er geschlafen habe. Sehr klug ist sie nicht, dachte Sternenberg, aber vielleicht sind Intellektuelle auch nicht so gut zu Tieren.
» Natürlich nehme ich Sprotte. Soll ich sie holen?«
» Ach nein, Herr Sternenberg, heut Nacht bin ich ja da. Ich muss nur eben morgen früh zum Arzt, und dann habe ich vor, mich mit meiner Schwester zu treffen. Wir haben uns so lange nicht gesehen.«
» Möchten Sie hereinkommen?« Mit der Floskel wollte er sie davon abbringen, einen Redeschwall über ihre Schwester zu beginnen. Sie war gewöhnlich distanziert und traute sich selten, direkter zu werden. Doch diesmal nickte sie erfreut und trat ein.
Er schloss die Tür hinter ihr und zog sich das T-Shirt über. Sie blieb stehen und sah sich vorsichtig im Zimmer um. Wahrscheinlich wollte sie nur sehen, ob ich Besuch habe, dachte er.
Das Handy klingelte. Er sah auf dem Display, dass es Wolfgang Lichtenberg war, und ging ran. Frau Stark wedelte mit den Armen und schien ihm zu bedeuten, dass alles klar sei und er morgen früh den Hund abholen würde. Dann winkte sie und hüpfte auf theatralisch leisen Sohlen auf den Flur. Es sah komisch aus, weil sie in ihrem Alter nicht wirklich hüpfte, sondern umzuknicken drohte.
» Wolf, was gibt’s?«
Der sog ruhig an einer Zigarette und brummte. » Ich habe schon auf den Anrufbeantworter gesprochen.«
» Und?«
» Es gibt drei Dinge.« Wieder sog er und blies den Rauch hörbar und mit aggressionsauslösender Gelassenheit aus dem Mund. Sternenberg schaute nach der Zeit.
» Nummer eins: Ich habe damit begonnen, uns Alibifälle an Land zu ziehen, an denen wir angeblich arbeiten, damit wir Freiraum haben, um an Herrn Traube dranzubleiben. Allerdings haben wir mehrere echte Fälle bekommen. Nacharbeit vom 1. Mai. Der Totschlag bei der Love-Parade. Und die Sache vom Rosenthaler Platz.«
» Wie bitte? Was denn noch alles?«
» Ich habe mich auch gewundert. Königin Beatrix …« – er sog und atmete – » Königin Beatrix hätte das meines Erachtens abwenden können. Es ist ungewöhnlich, wenn nicht sogar kontraproduktiv.«
» Nummer zwei?«
» Petra hat gute Arbeit geleistet in den Archiven. Ich verstehe nicht, weshalb sie das immer › raussaugen‹ nennt. Für mich klingt das obszön.«
» Sie meint das Internet.«
» Da kenne ich mich nicht aus. Sie war jedenfalls in verschiedenen Dateien. Ich bin die Unterlagen durchgegangen, sie hat das Wichtigste angestrichen. Kai. Ich sage nur: 350 Seiten Material! Ich weiß nicht, warum wir Petra bisher immer im Außendienst eingesetzt haben. 350 Seiten, das hat mir noch nie eine gebracht. Und eine Zusammenfassung auf einer halben Seite.«
» Erzähl mir bitte nur, was in der Zusammenfassung steht.«
» Nein, das lege ich dir auf den Tisch. Es geht um die Brandstiftungen der letzten Jahre. Wir haben in Berlin eine gewisse Konzentration in der östlichen Innenstadt und keinen Täter. Aber das ist für eine Metropole nichts Ungewöhnliches. Ich werde das Material weiter aufbereiten und es den anderen geben.«
» Sehr schön. Und drittens?«
» Drittens brennt es in der Fehrbelliner Straße.«
Sternenberg schwieg, wusste nichts zu sagen.
» Dachgeschoss.«
» Fehrbelliner Straße, in Mitte?«
» Ja.«
» Ist jemand von uns da?«
» Ich. War da.«
» Und jetzt?«
» Jetzt bin ich in der Pathologie.«
» In der …?«
» Ich stehe neben der Leiche.« Er sog an der Zigarette.
» Sag mal …«
» Du meinst, ich soll hier nicht rauchen. Aber dem Mann macht das nichts mehr, der ist schon an Rauchvergiftung eingegangen. Ein gewisser Hans-Jürgen Rabein. Seines Zeichens Anwalt.«
» Ach! Was für einer?«
» Ein guter, nehme ich an, hat ein unglaubliches Appartement gehabt.«
» Nein, ich meine: welches Spezialgebiet?«
» Dem Schild nach zu urteilen war er zugleich Notar. Die Kanzlei ist in Schöneberg. Da war ich noch nicht, die Traube-Truppe macht den Laden unsicher. Ich habe sein Portemonnaie, demzufolge … Laut Visitenkarte ist er Notar und Anwalt für Mietrecht.«
» Hm. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Mietsachen und Immobilien? Oder klingt das nur ähnlich?«
» Das werde ich klären. Persönlich kannten sich dieser Rabein und Anselm Jarczynski nicht, das hat Tarek
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