Flammenopfer
und seine Leute machen. Tarek hat den ersten Bericht gelesen. Dann kommen wir auch an die Nachfolgeberichte heran.«
» Hm.« Sie war nicht begeistert. » Kannst du uns einen Espresso bestellen, Chef?«
» Nein, dazu bin ich zu müde. Aber ich geb dir einen aus, Was kostet denn so was heute, Kind? Reichen zehn Cent? Zu meiner Zeit hat man dafür ganz fein essen gehen können.«
» Ja, und vom Rest warst du noch beim Friseur.«
7
Als Sternenberg die Wohnungstür öffnete, dachte er an das Mädchen vom Dach. Den Tag über war sie ihm nicht mehr in den Sinn gekommen. Er sah sich um, die Wohnung war leer. Auf den Tischen oder auf dem Bett lag kein Zettel.
Er öffnete die Tür zur Terrasse und fühlte, wie warm es im Dunkeln noch immer war. Wenn er sich über die Brüstung lehnte, konnte er den Platz sehen, an dem er morgens mit dem Mädchen gesessen hatte. Da standen noch die beiden Gläser, aber er hatte keine Lust, hinüberzusteigen, sie zu holen und abzuwaschen. Er zog das T-Shirt aus und setzte sich in den aufrecht gestellten Liegestuhl.
Auf einem der Balkone, die zum Hof hinausgingen, fönte jemand seine Grillkohle. Zwei Schüsse kamen aus der Entfernung, dann ein anhaltender Schrei. Sternenberg vermutete, dass im Prater wieder ein Stück aufgeführt wurde. Vor langer Zeit hatte Rosa Luxemburg dort ihre Reden geschwungen. Auch eine Art Theater. Oder nahm man damals die Rede einer Politikerin ernster als heute? Er stellte sich vor, Rosa Luxemburg würde heute im Biergarten des Prater auf die Bühne gehen und das Establishment angreifen. Als Sprecherin der Kommunistischen Plattform irgendeiner Linkspartei. Er dachte an sie als Kultursenatorin in einem rot-roten Berliner Senat. Oder als charmante Außenministerin in der Bundesregierung, die letztlich doch die Notwendigkeit von UNO-Blauhelmeinsätzen mit Kampfauftrag unterstützt, wenn es darum geht, Menschen aus dem Würgegriff von Massenmördern zu befreien? Rosa Luxemburg, wie sie aus dem Amtszimmer ihres Ministeriums am Werderschen Markt hinausblickt, hinüber auf die Asbestruine des Palastes der Republik. Ihre Referentin kommt mit einer Mappe herein, und sie ändert mit grüner Tinte ein Antwortschreiben an die Gleichstellungsbeauftragte. Rosa Luxemburg, wie sie – teuer gekleidet – einen Kranz an ihrem Denkmal am Landwehrkanal ablegen muss. – Rosa Luxemburg schwimmt als Leiche im Wasser. Eine politische Kripo.
Er dachte an den Prater und an ein Weizenbier. Im Kühlschrank fand er eine letzte Flasche. Was für ein wundervoller Luxus: ein Kühlschrank im Sommer!
Beim Öffnen schäumte das Bier noch nicht, aber das Eingießen gelang ihm nie. Beim letzten Mal hatte er es so machen wollen wie Tarek. Aber nachdem er die Flasche ins hohe Glas geführt und beides blitzschnell herumgedreht hatte – Tarek hielt damit den Schaum flach –, schoss der Schaum doch über den Rand, und die Lappen rochen hinterher alle unangenehm nach aufgewischtem Bier.
Diesmal versuchte er es auf die langsame Art. Doch er richtete das Glas zu schnell auf, sodass er den Schaum abtrinken musste und sich an den Luftbläschen verschluckte. Was für eine traurige Figur ein Mann abgeben kann, dachte er und schaltete den Anrufbeantworter auf Wiedergabe.
Die Stimme seines Steuerberaters löste begrenzte Schuldgefühle aus. Irgendeine mit einem großen Buchstaben bezeichnete Anlage hatte er noch nicht nachgereicht. Er nahm sich vor, das am nächsten Tag zu erledigen. Wozu hat man einen Steuerberater, wenn man weiterhin an Formulare denken muss? Genau das sollten sie einem doch abnehmen.
Sein alter Freund Rolf Korbmann lud ihn ein, in die Gartenstadt Staaken zu kommen. Über ein Jahr hätten sie sich nicht mehr gesehen, und es gebe viel zu erzählen. Er habe eine ganze Palette neuer Filmmusik bekommen, die müsse er ihm vorstellen. Ein Abend im beschaulichen Staaken reizte Sternenberg, und ein Gespräch mit einem Freund erst recht. Was war dagegen eine Steuererklärung?
Sieben weitere Anrufe waren eingegangen. Er tippte sie nur kurz an, um zu hören, ob Anja oder Tatjana angerufen hatten. Das Weizenbier wurde lästig. Es ging weiter auf wie Hefeteig im Backofen, und Sternenberg fühlte sich allein schon durch den schnell geschlürften Schaum betrunken. Er ließ es sein, den Rest in der Flasche kunstvoll herumzudrehen und die Ausbeute ins Glas zu geben, sondern kippte ihn in den Ausguss und stellte die Flasche in den Korb. Es hat schon seinen Grund, weshalb man manche Dinge den
Weitere Kostenlose Bücher