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Flammenopfer

Flammenopfer

Titel: Flammenopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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brandiger Ruß, sondern der Ruß der Zeit –, roch es in dem Durchgang nach nichts. Nicht nach Kalk, nicht nach Holz. Es war nicht einmal kühler als auf der Straße. Mochten die Mieter einmal stolz auf die Stuckdecke im Hausflur gewesen sein – heute hatte diese Decke die Konsistenz von Zigarettenasche.
    Schon nach der zweiten Etage spürte er seine Lunge. Ich sollte beim Treppensteigen kein Eis essen, dachte er, warf den Stiel in einen Eimer voller Schutt und richtete sich auf. Wahrscheinlich ist das Eis eine Ausrede. Alle paar Wochen einmal durch den See schwimmen, das reicht in deinem Alter nicht.
    Anstelle von Namensschildern waren an die Türen Zeichen gesprüht oder in das Holz geritzt, und statt Klinken gab es auf den meisten Etagen nur Löcher. Diese Wohnungen waren mit Fahrradschlössern gesichert. Besetzte Häuser sind anders. Waren anders, dachte er. Das hier ist kein besetztes Haus. In ein paar Wochen werden die Busse mit den Schwarzarbeitern anrücken und ein Gerüst hochziehen.
    Eine der Türen bestand nur noch aus einem schwenkbaren Rahmen. Der Rest war notdürftig mit Zeitungen verklebt. Die Tür war angelehnt, und eine Schnur baumelte über dem Türknauf, eine Schnur, die lang genug war, um als Türschloss zu dienen, wenn die Wohnung verlassen wurde. Sternenberg lehnte sich gegen die Tür und spürte sie nachgeben. Erst als sie offen stand, klopfte er an.
    Er konnte durch den Flur in ein großes leeres Zimmer sehen, dessen Fenster an der Straßenseite bis unter die hohe Decke reichten. Leer hieß, dass Kisten herumstanden, Sparren herumlagen und Tapetenreste von der Wand hingen.
    Langsam ging er durch den Flur, schaute nach links in ein schwarzes Zimmer und nach rechts in eine Abstellecke voller Plastiktüten.
    Er hörte ein Lachen, das aus dem großen Zimmer kam, ein kurzes, junges Lachen. Er betrat den Raum und klopfte gegen den Türrahmen. An der Seitenwand war ein Holzbalken in die Wand gedübelt und an einer Seite, an der die Dübelei nicht besonders erfolgreich wirkte, mit einem Kantholz abgestützt. Auf dem Balken saßen an einem Ende drei, an dem anderen Ende ebenfalls drei Jugendliche. Zwischen ihnen stand eine Batterie Bierflaschen.
    Die sechs sahen ihn an, erweckten aber nicht den Eindruck, etwas sagen zu wollen.
    » Tut mir leid, wenn ich euch störe«, sagte Sternenberg. Die leidenschaftslosen Augenpaare machten ihn nervös. » Ich bin Kai Sternenberg. Ich habe nur ein, zwei kurze Fragen, dann bin ich wieder weg.«
    Einer öffnete eine Flasche. Ein anderer betrachtete seine Fingernägel. Der Rest war ebenso gesprächig.
    Sternenberg sah sich um. Er wollte sich vergewissern, dass es zu diesen Hühnern auf der Stange nicht noch irgendwo einen Hahn gab.
    » Ich arbeite bei der Polizei. Ich brauche – so was wie eure Einschätzung.«
    Einer der Älteren, der ganz links auf dem Balken saß und einen Rest von Punkfrisur trug, öffnete eine Flasche und warf den Kronkorken dicht an Sternenberg vorbei in eine Kiste, als käme es in der Wohnung darauf an, keine Unordnung zu machen. » Wir spionieren nicht für euch!«
    » Ich habe nicht von Spionage gesprochen. Was ich brauche, ist eine Einschätzung, eine Erklärung. Ich verstehe etwas nicht.«
    » Was denn?« Ein Mädchen, das rechts saß, rutschte vom Balken. Sie trug ein bauchfreies T-Shirt und eine lange Lederweste, einen kurzen Jeansrock und alte, hochgeschnürte Frauenstiefel wie eine Suffragette. Die gescheitelten Haare ragten ihr in die Augen. Sie hatte sich einigermaßen geschickt geschminkt, sodass sie auf den ersten Blick älter wirkte. Jetzt schätzte Sternenberg sie auf höchstens dreizehn.
    Er wandte sich an sie, vergaß aber die anderen im Hintergrund nicht. » In den letzten Wochen gab es eine Reihe von Todesfällen. Da müssen wir ermitteln.«
    » Wir sind keine Spione und keine Mörder!«, quakte der halbe Punk.
    » Sei mal ruhig, Hirschi«, sagte das Mädchen. » Also, Herr Polizei, wir hören.«
    » Mehrere Menschen sind in ihren Wohnungen umgebracht worden. Unter anderem hier in Prenzlauer Berg. Wir müssen weitere Tote verhindern. Dafür brauchen wir jeden Hinweis. Die Suche ist lästig, für mich und für die, die ich fragen muss.«
    » Dann lasst es doch!«, warf der Hirschi genannte Junge ein und kickte mit seinen Stiefeln eine Flasche zu den anderen herüber. Die Flasche prallte an die Wand und rollte in die Zimmermitte zurück, dorthin, wo Sternenberg mit dem Mädchen stand.
    » Kennt ihr solche Zettel?«

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