Flammenopfer
Sie die Presse gelesen? Der Mann ist sofort zum Brandstifter vom Prenzlauer Berg gestempelt worden. Die Journaille hat seine Vergangenheit hochgekocht: Mittleres von sieben Kindern, zurückgeblieben in den ersten Jahren, von den Eltern vernachlässigt. Eine unterprivilegierte Familie, in der es darauf ankam, wenigstens den Ältesten eine Ausbildung zu verschaffen. Er blieb auf der Strecke. Und dann hat er sich hochgekämpft aus dem ganzen Dreck, hat die Schule nachgeholt, Jahre später, als alle anderen längst fertig waren, hat die Abschlüsse nachgeholt, sogar das Abitur. Und hat studiert. Ist ein Stararchitekt geworden! Das haben sie alles gegen ihn ausgelegt: Der verletzte, vernachlässigte Sohn, der sich rächt, indem er heimlich kokelt. Was glauben Sie, wie das auf seine Kunden wirkt?
So was ist noch verheerender als Feuer und Feuerwehr zusammen! Der Mann ist doch von einem Tag auf den anderen ruiniert gewesen! Jetzt kann er sich zu Hause in Ruhe seinen historischen Stadtplänen widmen, als eine Art Frührentner. Auf diese Weise macht man jemanden kaputt. In so einer Sache bin ich Anwältin, da lasse ich keinen im Regen stehen.« Sie stand auf, und Isabel merkte, dass die Frau das Gespräch beenden wollte.
» Ich habe noch eine Frage. Gehören oder gehörten zu Ihren Klienten die GeGeBau und die TrainWay ?«
» Ich hatte einen Mandanten, der für die GeGeBau tätig war. Ein arbeitsrechtlicher Prozess. Das ist einige Jahre her. Und die TrainWay … Ist die nicht auch in Konkurs gegangen? Mit der hatte ich nicht zu tun. Soweit ich mich erinnere. Ich würde ja gern für Sie in meine Datei schauen, Frau Kommissarin, aber leider fehlt mir dazu jede Möglichkeit. Ich muss mich jetzt für eine von diesen Bürovariationen hier entscheiden, wenn Sie gestatten.«
» Ja gerne, Frau Dr. Severus. Ich danke Ihnen, dass Sie trotz der vielen Strapazen und Ärgernisse für mich Zeit hatten.«
» Keine Ursache. Finden Sie, dass Kirsche zu mir passt? Diese Schreibtischplatte hier, die Maserung, finden Sie, ich sollte mich für die entscheiden?«
» Ich finde dieses Holz ausgesprochen schön. Aber ich habe keine Ahnung davon. Es ist – nicht meine Preiskategorie. Sieht jedenfalls elegant aus.«
» Das war ja nicht meine Frage. Passt es zu mir? Ich habe das Gefühl, ich sollte mit dem ganzen herkömmlichen Zeug brechen und mir lieber irgendwelche Aluminiumkübel hinstellen, oder so was Neues. Vielleicht ist das Feuer ein Zeichen, dass ich etwas ändern soll.«
Isabel gab ihr die Hand. » Ich glaube, da kann Ihnen die Polizei keinen Rat geben.«
» Wahrscheinlich haben Sie recht. Ich werde mir kaufen, was ich brauche, und so schnell wie möglich weitermachen wie vorher. Sozusagen gleich wieder aufs Pferd steigen, wenn man abgeworfen wird. Sonst scheut man die Gefahr. So bin ich eigentlich nicht.«
» Das glaube ich. Auf Wiedersehen.« Isabel ging durch das Geschäft zum Ausgang, vorbei an einer Antilope aus Keramik, die sie an Schulterhöhe übertraf. Am Eingang hielt ihr ein Angestellter die Tür auf und verabschiedete sie.
Plötzlich fiel ihr etwas ein. Sie machte kehrt und sah, dass die Rechtsanwältin mit einer Verkäuferin über einen anderen Schreibtisch diskutierte. » Entschuldigung, eine allerletzte Frage habe ich doch noch.«
» Ja?«
» Ihr Mandant, der Architekt van Tannen, hatte er in irgendeiner Weise mit der GeGeBau oder der TrainWay zu tun?«
» Da überschätzen Sie mich. Davon weiß ich wirklich nichts. Und darum ging es bei dem Mandat nicht.«
» Sicher. Hätte ja sein können. Entschuldigen Sie. Auf Wiedersehen. Und viel Erfolg in München.«
11
Kai Sternenberg steckte sich ein Wassereis Orange in den Mund und bog von der Kreuzung Bernauer Straße her in die Oderberger ein. Es überraschte ihn nicht, dass das Haus, vor dem er stand, keine Hausnummer hatte – in einer Gegend, in der die Baubehörden an den Laternen Schilder befestigten, um auf Fahrbahn- und Gehwegschäden hinzuweisen.
Tarek hatte ihm das Haus beschrieben. Wilder Wein rankte an der schartigen Fassade bis in den dritten Stock. Die grünen und die früh geröteten Blätter verdeckten mühsam die Spuren von Häuserkampf und Vernachlässigung. Eine Aufschrift Kohlen & Kartoffeln über dem Kellereingang war nur noch zu ahnen, manche der Buchstaben waren mit Hinweisen zu Techno & House-Partys überklebt.
Durch die doppelflügelige Haustür gelangte Sternenberg in die Hofdurchfahrt. Obwohl die Wände rußig schwarz waren – kein
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