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Flammenopfer

Flammenopfer

Titel: Flammenopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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Sternenberg holte eines der Flugblätter heraus, das er von Tarek bekommen hatte. Er faltete es wie ein wertvolles Corpus Delicti auseinander und versuchte, aus dem Augenwinkel die Reaktionen der Jugendlichen zu beobachten.
    » Das soll ’ne Falle sein.« Ein blasser Rothaariger zeigte mit dem Mittelfinger auf das Papier. » Wir können doch Zettel machen, wie wir wollen.«
    » Der ist nicht von uns«, blaffte Hirschi.
    Sternenberg hob die Hand. » Sekunde, Leute! Mir ist egal, wer die druckt und aufhängt.«
    Das Mädchen strich sich die Haare aus den Augen. Aber sie fielen sofort wieder zurück. » Was haben die Dinger mit verkohlten Leichen zu tun?«
    » Richtige Frage«, sagte Sternenberg. » Genau genommen ist es gleichgültig, wer sie geschrieben hat. Jeder kann schreiben und veröffentlichen, was er will. Es ist nicht die Aufgabe der Polizei, jemanden zu zensieren. Wir haben Meinungsfreiheit.«
    Hirschi lachte hämisch. Einige andere stimmten ein, aber es klang, als wüssten sie nicht genau, warum.
    » Es gibt nur ein Problem mit diesen Zetteln. Einige meiner Vorgesetzten glauben, dass darin zu Straftaten aufgerufen wird. Zu Mord, um genau zu sein. Und da hört die Meinungsfreiheit auf.«
    » Was? Zeig mal her!« Das Mädchen nahm das Blatt, und ihre Augen irrten darauf herum. » Quatsch!«
    Der blasse Rothaarige erklärte: » Wir kennen diese Flugblätter oder was das sein soll nicht. Nur weil wir hier in einer leeren Wohnung sitzen, kann uns der Staat nicht jeden Scheiß anhängen. Der Kerl sagt, wir sind Mörder.«
    » Langsam, langsam. Ich habe gesagt, mir ist egal, was ihr hier macht. Ich muss nur mit meinem Fall weiterkommen, und dazu brauche ich eure Einschätzung. Ich nehme an, dass ihr schon mal Flugblätter gemacht habt, aber ich weiß nicht, ob das hier von euch ist. Wichtig ist mir nur eure Einschätzung, wie ihr diesen Text seht.«
    » Da steht nichts von Mord«, sagte das Mädchen.
    » Nicht direkt. Aber hier, das hier ist ein Aufruf zu Brandstiftung gegen die Wohnungen und die Büros von Staatsvertretern.«
    » Ach so, das ist doch nicht als Mord gemeint.« Das Mädchen hielt seine Haare aus dem Gesicht und sah Sternenberg zum ersten Mal direkt in die Augen.
    » Es kann schon sein, dass meine Vorgesetzten solche Texte ernster nehmen oder auch ganz anders verstehen, als ihr sie gemeint habt. Deshalb will ich das mit euch klären. Ich unterstelle keinem von euch Mordgedanken.«
    » Dann verpiss dich!«, rief der Rothaarige halb in den Raum, halb in seine Bierflasche.
    » Also, der Text ist von uns«, sagte das Mädchen. » Genau gesagt: Nicht von einem von uns, sondern von, na ja, jemand anderem, den wir kennen. Wir haben was gegen das System, weil es die Menschen ausbeutet und weil es Kriege generiert. Aber wir werden keine Menschen umbringen oder dazu aufrufen. Das mit der Brandstiftung ist allegorisch gemeint, wenn Sie das verstehen.«
    » Ich verstehe.« Er wollte fragen, ob die Anleitung zum Bau von Molotow-Cocktails auch allegorisch gemeint sei, schluckte es aber hinunter. » Es kann aber sein, dass andere das nicht verstehen. Die könnten glauben, es wäre richtig, Leute in ihren Wohnungen nachts abzufackeln, nur weil sie für den Staat sind. Immerhin gibt es jemanden, der solche Brände legt. Und den Tod einkalkuliert.«
    » Wenn wir zu Gewalt aufrufen, dann nur zu Gewalt gegen Sachen«, sagte das Mädchen.
    » Vielleicht hältst du mal die Klappe«, schrie sie Hirschi von hinten an.
    Sie ließ sich nicht beirren. » Dieser ganze imperialistische Apparat richtet sich letztlich gegen die Menschen. Die Leute wachen erst auf, wenn man die Tentakel dieses Systems angreift. Sonst merken die nie was. Wenn ein Laden brennt oder ein Auto, dann machen die gleich, als wenn die Welt untergeht. Dabei ist es der Besitz, der die Ungerechtigkeit schafft. Wir wollen klarmachen, wer der Aggressor ist. Dazu bringen wir keine Leute um oder brennen sie nieder. Das überlassen wir dem Staat, der macht das jeden Tag, in Afghanistan, im Irak, in Afrika, überall.«
    » Also gut«, sagte Sternenberg, » ich kann also zu meinen Vorgesetzten gehen und – ich meine, eure politische Kritik, die verstehen die sowieso nicht …«
    Der Rothaarige kicherte hämisch.
    Sternenberg fuhr fort: » Ich kann denen sagen, dass die Autoren dieser Flugblätter mit den Todesopfern nichts zu tun haben. Und dass es kein Aufruf zu Brandstiftung und zur Tötung von Menschen sein soll. Okay. Ich hoffe nur, ihr seid ein bisschen

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