Flammenopfer
übernachten?«
» Was soll das denn heißen, Rolfi? Wie meinst du das mit deinem Angebot des Übernachtens denn wirklich? Ist das endlich der Beginn deines Coming-outs?«
Der große Mann mit den leeren Flaschen in der Hand bog sich vor Lachen. Dann hielt er inne und legte eine seriöse Stimme auf: » Mein Coming-out lege ich auf den 75. Geburtstag. Danach fange ich ein ganz neues Leben an, mit Lustknaben von der Polizei. Bis dahin verschwende ich mich noch an die Weiber.«
Sie wechselten ins Wohnzimmer. Rolf Korbmann stellte neue Gläser auf den Tisch. Der Rioja blieb derselbe.
» Zu dem Misstrauen gegen die drei Leute«, sagte Sternenberg, » kommt noch das gegen diese Julia, das Mädchen von meinem Dach, das in U-Haft sitzt.«
» Was genau wird ihr denn vorgeworfen?«
» Wenn ich das wüsste! Sie soll sich an der Dachklappe eines Nachbarhauses › zu schaffen gemacht‹ haben. Wenn sie sich einfach nur mal auf eines der Dächer gesetzt hat, dann ist sie durch eine Dachöffnung gestiegen. Das machen viele. Jetzt wird mir gesagt, dass sie davon träumte, Feuerwehrfrau zu werden. Sie sei frustriert wegen der Ablehnungen, deshalb würde sie Brände legen.«
Korbmann zog die Augenbrauen hoch.
» Ich kann es nicht völlig ausschließen. Ich kenne sie kaum. Aber ich habe das Gefühl, dass sie das nicht macht. Andererseits sind meine Erfahrungen mit Brandstiftern minimal, ich weiß nicht, wie sich so einer verhält oder wie weit er sich verstellen kann.« Er starrte auf den Teppich. » Mir fällt gerade ein, dass ich was klären muss. Wenn sie den Kollegen gesagt hat, dass sie mit mir zusammen war, neulich Abend, dann weiß Beatrix das auch. Und als sie mir von Julia erzählte, hätte sie erwarten können, dass ich weiß, von wem sie spricht. Sie wird sich gewundert haben, dass ich nicht reagiere. Herrje, das Ganze klingt wie eine Verwechslungskomödie, oder? Eigentlich müsste man so einen Kommunikationsknoten einfach durchschlagen.«
» Du weißt nie, wen du dabei verletzt und gegen dich aufbringst.«
» Ich habe das Gefühl, mich in keine Richtung bewegen zu dürfen. Richtig loslegen mit der Ermittlung? Geht nicht, die Sache ist geheim. Traube ansprechen? Geht nicht, er soll nichts erfahren. Julia nach ihm und ihren Freunden fragen? Sie misstraut mir jetzt zutiefst. Einen ihrer angeblichen Freunde auf sie ansprechen? Geht nicht, weil ich einen von denen geschlagen habe. Beatrix einweihen? Damit könnte ich Julia schaden und Petra, meiner Mitarbeiterin. Einen anderen Kollegen vorschicken? Nein, die müssen so tun, als ob wir mit anderen Fällen überlastet wären.«
» Klingt nach einer Situation, in der du nicht gewinnen kannst.«
» Normalerweise, wenn es bei der Kripo kriselt, konzentriere ich mich eine Zeit lang auf die Telefonseelsorge, hole mir meine Erfolgserlebnisse dort. Das strahlt dann auch auf das andere zurück, und meist hat sich die Krise im Job erledigt. Weil ich einfach loslasse. Mich nicht einmische. Oder sonst was. Aber diesmal geht das nicht. Mit denen von der Telefonseelsorge habe ich nämlich auch Stress.«
Korbmanns Augenbrauen schienen dauerhaft in Habachtstellung fixiert.
» Ich hatte Nachtschicht mit einer Anfängerin. Sie beging einen Fehler. Und ich habe ruppig reagiert. Sie stellt mich als Prügelbullen hin. Und der Vorstand – die kennen mich seit siebzehn Jahren und sollten mich besser kennen –, der Vorstand glaubt ihr. Und suspendiert mich. Bis auf weiteres. Bis zu einem klärenden Gespräch. Was soll dabei rauskommen? Dass ich Frauen und Kinder schlage. Ich. Hab’ die Arbeitsgruppe für Gewaltprävention in Polizeirevieren geleitet.«
Korbmann lachte.
» Bundesweite Arbeitsgruppe.«
» Na ja, Kai, dadurch bist du eben bestens informiert, wie man’s macht. Und vertuscht. Aber ehrlich, ich glaube, das Problem ist dein Perfektionismus. Du willst immer überall der Beste sein.«
» Sag nicht immer und überall.«
» Wenn nicht der Beste, dann willst du es eben am besten machen. Bei zwei so anspruchsvollen Aufgaben wie deinem Job und der Telefonseelsorge geht das einfach nicht.«
» Ich bin dankbar, dass mich ausgerechnet derjenige über Perfektionismus belehrt, dem jegliches Perfektionsstreben fremd ist!«
Korbmann lachte erneut und füllte sich selbst Wein nach. » Was machen …«
Er stockte.
» Was?«
» Nee, schon gut. Wollte nicht das Thema wechseln. Mir schießt immer alles Mögliche quer durch den Kopf, wenn ich trinke.«
» Also was, Rolf? Was machen
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