Flammenopfer
…«
Korbmann wog unwillig den Kopf. » … deine Töchter?«
Kai sah ihn an. Streckte ihm das Glas entgegen. » Anja ist in Hamburg. Macht Werbedesign oder Computer. Das wechselt bei ihr, ich verliere die Übersicht. Tatjana studiert Lusitanistik in Coimbra.«
Rolf Korbmanns Augenbrauen fielen tief herab und formten unter einer zerklüfteten Stirn einen sehr fragenden Ausdruck.
» … Portugiesisch. Hauptsächlich der Literatur wegen. Keine Ahnung, was man damit macht, aber ich bin heilfroh, dass sie sich beide wieder für was begeistern. Sie hatten eine Phase, mit der sie mich verrückt gemacht haben. Du erinnerst dich, ich hatte ihnen angeboten, sie könnten alles machen nach dem Abi, was sie wollen.«
» Ich erinnere mich.«
» Und womit kann man einen liberalen Vater am meisten ärgern? Man tut nichts. Nicht mal irgendetwas Verrücktes, sondern schlichtweg nichts. – Na ja, das hat sich geändert. Sie wissen jetzt, was sie wollen. Zwei ziemlich süße Vögel. Aber außer einer SMS alle Jubeljahre passiert nichts.«
» Klasse. Dann sind sie auf dem richtigen Weg, hm?«
» Du hast recht, ich hab viel falsch gemacht. Bei den beiden war ich nie perfekt.«
» Halthalthalt, das hab ich nicht gesagt.«
» Und heute bin ich erst recht nicht perfekt. Ich kümmere mich nicht um sie. Unmöglich, dass die in dem Alter schon alles allein hinkriegen. Und dann noch ohne einander.«
Korbmann unterdrückte ein Lachen. » Ich glaube, die beiden sind zufrieden mit ihrem Vater. Als sie klein waren, haben sie dich vergöttert. Und heute lieben sie die Freiheit. Die sie schließlich durch dich haben.«
» So sieht man die Welt wahrscheinlich, wenn man in Staaken wohnt.«
Korbmann vergoss vor Lachen beinahe seinen Wein.
Sternenberg sah ihn gespielt fassungslos an. » Du bist heute durch nichts zu beleidigen, was?«
Wieder schüttelte sich Korbmann. » Als Rentner bin ich schlicht nicht mehr beleidigungsfähig. Und natürlich durch dieses Zeug hier.«
» Es lebe deine Patientin mit der Brachial-Dingsda und ihren zwölf Flaschen!«
Sie ließen die Gläser klingen.
» Also, um das abzuschließen: Grüß die Mädel, wenn du sie sprichst!«
» Okay. Wir hätten damals dich zum Paten machen sollen. Wäre bestimmt besser gewesen als Anahita, die Nymphomanin. Und Bernd, der Alki.«
» Na – Prost!«
Nach einer Weile kam Rolf Korbmann mit einer Schale voller gelber, grüner und roter Paprikaschnitze und einigen Dipp-Döschen zurück. Sternenberg hatte das Licht gedimmt, weil er die ersten Mücken im Zimmer sah. Er wollte ihnen nicht grob fahrlässig eine Chance geben.
» Das, was du die ganze Zeit nachlädst, diese Emma Kirkby, das ist gut. Ich wusste gar nicht, dass mir Henry Purcell so gut gefällt.«
» Das ist nicht Purcell. Das ist Händel. Schon ’ne ganze Zeit lang.«
» Oh.«
» Weißt du, was Purcell auch gemacht hat? Die BBC-Hymne im Radio.«
» Echt? Na ja. Ich kenne mich nicht aus. Kann nicht mal cis und des unterscheiden.«
» Das ist nicht sooo erstaunlich. Du musst von Musik nichts verstehen. Schließlich bevorzugst du Künstler, die … ein schweifendes Organum in sämtlichen Stimmen praktizieren.«
» Bitte?«
» Sänger, die den Ton nicht halten können. Janis Joplin. Bob Dylan. Tom Waits …«
» Du spinnst.«
» Unterhalten wir uns mal über richtige Musik.« Korbmann räumte die Staffelei beiseite und deutete auf einige Stapel CDs. » Das da ist ein Genre, dem ich mich seit einigen Monaten widme.«
» Wahrscheinlich wieder Oper oder Ballett, der Nachmittag eines Fauns im Apalachen-Frühling oder so was.«
» Filmmusik.«
» Filmmusik? Klingt nach einem Rückschritt für einen Klassiker.«
Korbmann breitete mehrere CDs auf dem Glastischchen aus. » Ich habe inzwischen mitbekommen, dass es eine große Gemeinde von Filmmusikfans gibt. Die meisten bleiben ihr Leben lang dabei. Ein paar von denen tasten sich in die Gefilde der E-Musik vor. Aber aus denen komme ich ja. Ich gehe also den umgekehrten Weg. Es ist trotzdem kein Rückschritt.« Er rührte mit den Händen über den CDs und suchte nach Worten. » In den ganzen Jahren bin ich von der Romantik zum Barock gekommen, weil die Strukturen klarer sind. Wie die Klassikfans bin ich bei Bach gelandet. Aber er ist mir zu mathematisch. Was ich gesucht habe, ist die einfache Darstellung von Stimmungen. Programmmusik. Filmmusik leistet das. Da gibt es ein Liebesthema und ein Motiv für den Bösewicht. Man kann das primitiv nennen. Für mich ist
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