Flammenopfer
ab.
Der Anrufbeantworter blinkte. Dreizehn Anrufe. Die ersten sechs waren Aufleger, ungefähr im Zehn-Minuten-Abstand. Dann war Sigurd von der Telefonseelsorge dran und bat um Rückruf. Eine halbe Stunde später, etwa zur Zeit des Gelages in Staaken, hatte Sigurd erneut angerufen und um Rückruf gebeten. Vier Aufleger folgten, dann wieder Sigurd, mit beinahe erstickter Stimme.
» Kai, du weißt, dass ich wichtige Dinge nicht am Telefon mit dir bespreche. Im Normalfall. Aber jetzt eilt es. Ich will dich informieren. Wenn du das von dieser beschissenen Maschine abhörst, ruf mich lieber an, anstatt weiterzuhören. Oder wenn du … Na ja, egal …«
Kai Sternenberg drückte wieder auf die Fernbedienung des Fernsehers. Das Wetter in Deutschland vor zwanzig Jahren. Immer noch besser als Sigurds Sprachfindung.
» Kai, ich finde, du sollst wissen, was passiert. Der Vorstand hat mich beauftragt. Du erinnerst dich an Monikas Anschuldigung. Du warst aufgebracht. Es gibt jetzt eine … Eskalation. Sozusagen. Sie hat – aber ich will dir gleich sagen, dass ich es nicht ernst nehme und dass der Vorstand sich in allen Punkten – ähm – distanziert. Also, sie hat eine Anzeige erwirkt. Das jedenfalls hat sie uns mitgeteilt. Wir haben uns gefragt – wir, der Vorstand –, was genau der Anlass sein könnte. Sie hat sich irgendwie nicht klar ausgedrückt. Sozusagen. Monika hatte sich ja über deine Handgreiflichkeiten beschwert. Also, wegen angeblicher … Die Anzeige bezieht sich auf ein anderes Gespräch, das sie wohl bei dir mitgehört hat. War sie eigentlich Hospitantin bei dir? Na ja, jedenfalls … Sie meint, du hättest einer Anruferin die Hilfe verweigert. Und vorgetäuscht, sie würde sozusagen nicht mit der Telefonseelsorge, sondern mit der Polizei sprechen. Also, die Hintergründe sind uns – dem Vorstand – nicht klar geworden, ihr Brief ist uneindeutig. Deshalb wäre eine Klärung durch dich wirklich wichtig. Ähm, Kai, ich weiß nicht, wie lange das Band noch … Ich will dir sagen, dass ich das nicht glaube. Ich kenne dich und deine Methode am Telefon. Ich finde, dass Monika … Der Vorstand sieht das auch so. Mehrheitlich, sozusagen. Dass an der Anzeige etwas dran ist, glauben wir nicht. Sie schreibt aber, sie hätte sie bereits eingereicht. Ich hoffe, du bekommst dadurch keine Probleme in deinem Job. Also, ähm, rufe mich doch bitte an.«
Es klingelte an der Tür. Gleichzeitig wurde Sigurds Stimme von einem intelligenten Chip im Anrufbeantworter, der die Zeit der Anrufe maß, abgehackt.
Kai riss die Tür auf und war froh, diesmal angezogen zu sein. Vor der Tür stand Hanna Stark aus dem Erdgeschoss. Ihre Haare hatte sie mit Spray gebändigt. Ihre Hände hielt sie vor ihrem Bauch gefaltet wie einen Schild. Die Knöchel weiß.
» Kommen Sie herein, Frau Stark.«
» Ach, ich will nicht stören.«
» Bitte kommen Sie herein.«
» Sie sind ein so beschäftigter Mann, Herr Sternenberg. Ich will Sie bloß nicht aufhalten.« Sie trat ein und sah sich diesmal nicht in seiner Wohnung um, sondern blickte auf ihre Schuhe. Sie wartete auch nicht, dass er sie zum Reden aufforderte. » Es ist mir peinlich, Sie zu bedrängen, Herr Sternenberg.«
» Setzen Sie sich bitte. Kann ich Ihnen etwas anbieten?«
Sie schaute zu ihm und schien nicht zu verstehen, was er sagte. » Es geht um Sprotte, Herr Sternenberg. Ich weiß ja, wie viel Sie zu tun haben.«
» Aber Frau Stark. Sprotte ist mein Hund. Sie kümmern sich ständig um sie. Und ich nehme Ihnen Sprotte gar nicht mehr ab. Wenn sie Ihnen zur Last fällt …«
» Nein«, sagte sie und hob die Hände, faltete sie aber sogleich wieder. » Ich mag die Sprotte ja, sie ist so lieb. Es ist mir ganz unangenehm, und ich will sie Ihnen nicht einfach aufhalsen.«
» Frau Stark! Sprotte ist doch mein Hund! Wenn Sie keine Zeit haben, bringen Sie sie einfach. Sie müssen sich doch nicht entschuldigen, dass Sie mir so lange geholfen haben!«
» Da bin ich froh, Herr Sternenberg. So was macht man doch eigentlich nicht. Man ist ja pflichtbewusst. Und man macht es ja auch ausgesprochen gern. Aber ich habe einen Termin bekommen im Krankenhaus, wissen Sie. Das kann man ja nicht verschieben.«
» Machen Sie sich keine Sorgen wegen des Hundes. Ist es etwas Ernstes? Das mit dem Krankenhaus, meine ich?«
» Ach, es wird nicht dauern.«
Er schaltete den Fernseher aus und sah nach, ob der Anrufbeantworter am Ende war. » Hoffentlich nicht. Aber ist es etwas Ernstes?«
» Ich werde die
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