Flammenopfer
kleine Sprotte bald wieder nehmen können.«
» Haben Sie eine Untersuchung oder eine Operation?«
» Ach, Herr Sternenberg. Man ist ja dankbar, wenn es einem so lange gutgegangen ist, nicht wahr? Ist es nicht so? Und vielen, vielen Menschen auf der Welt geht es so viel schlechter. Man soll sich nicht beklagen.«
Er setzte sich zu ihr. Eine Weile sagte er keinen Ton. Dann versuchte er es noch einmal. » Wie geht es Ihnen? Warum müssen Sie ins Krankenhaus?«
» Der Professor sagt, dass ich wahrscheinlich in einigen Tagen wieder auf den Beinen bin.«
» Frau Stark, soll ich Sie ins Krankenhaus fahren? An welchem Tag haben Sie den Termin?«
» Nein, nein. Sie haben viel zu arbeiten als Polizeibeamter. Und ich muss um 10 Uhr da sein. Das Taxi habe ich bestellt. Das geht alles.«
» Heute schon?« Er fragte sich, wo er so schnell den Hund unterbringen sollte. » Ich fahre Sie. Welche Abteilung ist es denn?«
» Ach, Herr Sternenberg, ich glaube, Sie wollen mich ein bisschen ausfragen. Machen Sie sich keine Gedanken. Es sind Frauensachen.«
Er entschloss sich zum Durchbruch. » Kommen Sie wieder raus?«
Sie lachte kurz. » Natürlich. Eine olle Frau bringt so schnell nichts um. In meinem Alter nimmt man das nicht mehr so tragisch. Ich muss ja den Männern nicht mehr gefallen, wissen Sie.«
Ihre Knöchel waren immer noch weiß vor Anspannung. Noch ehe er zu Ende gedacht hatte, lag seine linke Hand auf ihren Händen.
Sie senkte den Kopf und zitterte einen Moment.
» Frau Stark. Ich habe ganz viel Zeit. Das andere kann alles warten.« Er sah Königin Beatrix und Tarek und hatte das Gefühl, die Zeit laufe gegen ihn.
Sie blickte auf und wirkte trotzig. » Wenn man den Krieg erlebt hat, Herr Sternenberg, weiß man, was leiden ist. Wenn man einer alten Frau den Busen abnimmt, ist das kein Leiden. Man hat jahrelang gut gelebt und brauchte sich nicht zu beklagen. Es ist eine Routineoperation. Man hat es lange genug aufgeschoben. Jetzt muss es einfach sein. Schließlich will man noch ein, zwei Jahre leben.«
Er sah sie an, sagte nichts.
» Könnten Sie denn Sprotte nehmen? Ich habe nachgefragt, ob man einen Hund ausnahmsweise ins Krankenhaus mitnehmen darf. Nicht auf die Intensivstation natürlich. Aber sie sind strikt dagegen. Haben Sie denn jemand anderen, dem Sie Sprotte geben können?«
» Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Stark. Wenn Sie möchten, besuche ich Sie, sobald es geht. Ich werde auch Sprotte mitbringen.«
Sie wirkte ein wenig spöttisch. » Ich mag Sprotte sehr, wissen Sie, aber das Liebste … Das Liebste wäre mir, wenn ich keine Verantwortung mehr hätte. Ich möchte gern alles geregelt haben, und bis auf diese Sache habe ich das auch.«
Sie spricht vom Tod, dachte Sternenberg. Auf ihre Weise spricht sie vom Tod.
» Bringen Sie mir Sprotte, ich regle das. Ich habe genug Freunde. Die machen das nicht so toll wie Sie. Aber sie sind tierlieb. Vielleicht wollen auch Anja und Tatjana Sprotte mal wieder nehmen.«
» Könnten Sie das Hundefutter holen, Herr Sternenberg? Es stehen noch so viele Dosen bei mir in der Küche.«
» Natürlich. Was kann ich noch tun?«
» Nichts. Frau Doritt hat den Schlüssel, sie kümmert sich um meine Blumen. Die Zeitung habe ich abbestellt, und Frau Doritt hat auch den Briefkastenschlüssel. Sie liest zwar die Postkarten, aber das ist mir egal. Sonst habe ich nichts. Meine Schwester weiß, was zu tun ist … Wenn eben …« Sie weinte.
» … wenn jemand stirbt?«
Sie weinte.
Er stand auf, ging um den Tisch und legte ihr den Arm um die Schulter.
Sie weinte, suchte nach einem Taschentuch und schnäuzte sich. Sie stand auf. » Man bemüht sich, Herr Sternenberg. Ich möchte wieder rauskommen. Ein, zwei Jahre, da wäre man ja zufrieden. Da könnte man doch zufrieden sein, oder?«
Er schwieg und strich ihr über den Rücken. Er wusste, dass es kein richtiges Wort gab. Es gibt so etwas wie einen Todes-ernst, den man nicht wegreden darf.
Eine Viertelstunde später waren die Hundefutterdosen in Sternenbergs Küche deponiert. Sprotte stand im Wohnzimmer. Sie wedelte mit dem Schwanz. Bis sie sich erinnerte, dass sie eigentlich beleidigt sein wollte, weil er sich lange nicht um sie gekümmert hatte. Sie rollte sich unter dem Tisch zusammen.
» Was mache ich jetzt mit dir?«, fragte er den Hund, der ihn versehentlich ansah, es dann aber vorzog, vor Trauer ins Nichts zu blicken, mit der Schnauze auf dem Teppich.
16
Kai Sternenberg parkte in der Schönhauser Allee und
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