Flammenopfer
im Heim abgeben. Damit ich ein Problem weniger habe. – Ach Quatsch, es war völlig richtig.
Mit dem Laken als Tunika stellte er sich auf den Balkon. Kein einziger Luftzug. Weit entfernt fuhr eine Bahn. Er ging zurück ins Zimmer, wo ihm die Wärme der Wohnung wie eine Wand vorkam. Er legte sich wieder ins Bett und merkte, dass er mit offenem Mund atmete, wie ein Fisch in warmem Wasser. Er schaltete das Licht an, stand wieder auf, zog sich an, griff nach den Autoschlüsseln und schloss hinter sich ab.
Mit heruntergelassenen Fenstern fuhr er durch die leeren Straßen. An einer Kreuzung stand ein Taxi neben ihm. Die Fahrerin lächelte ihm zu.
Er fuhr am Krankenhaus vorbei, in dem alle Lampen brannten, und dann die Straße zum Plötzensee hinunter. Die Bäume und die Friedhöfe ringsherum hielten eine angenehm kühle Temperatur. Die Wege waren so dunkel, dass er sehr konzentriert gehen musste. Er hatte nicht damit gerechnet, dass es sogar ein bisschen unheimlich war.
An seiner Badestelle legte er die Sachen ab und versteckte die Schlüssel unter einem Stein. Das Ufer fühlte sich glitschiger an als sonst. Die Wasseroberfläche sah wie ein zweiter Himmel aus. Sie fühlte sich auch so an.
Er tauchte dicht unter der Wasserlinie. Es war schwarz und ruhig. Man konnte kräftige Schläge tun und wusste doch nicht, ob man sich vorwärts- oder rückwärts- oder überhaupt von der Stelle bewegte.
Stand auf dem Tisch von der Markiewicz ein Computer? Er konnte sich nicht erinnern. Wahrscheinlich irrelevant. Diese dumme Frage, dachte er und stach wieder unter Wasser. Diese dumme Frage, ob das Kinderheim und der Verdacht der Kinderpornografie etwas miteinander zu tun haben.
Er drehte sich und schwamm auf dem Rücken. Mit den Armen holte er weit aus. Das Wasser spülte an seinem Gesicht vorbei. Er sah Sterne, obwohl es von Osten her heller wurde. Aus dieser Sicht – ohne die Bäume am Ufer im Sichtfeld – hatte er noch weniger das Gefühl voranzukommen.
Er ging in den Schmetterlingsschlag über, seinen Lieblingsstil. Es ging schneller und stärker. Er wollte einen Rekord brechen und die Gedanken verdrängen.
Seine Sachen lagen noch am Ufer. Er schüttelte die Schlüssel und lief zum Wagen. Die Fahrtluft wehte die Haare trocken.
Die Wohnung schien jetzt noch stickiger, obwohl er alle Fenster bis auf die zum Balkon offen gelassen hatte. Er legte sich aufs Bett, schloss die Augen und hörte sein Herz. Es hatte sich beruhigt, aber er hörte es trotzdem.
Der Schrei einer Kreissäge weckte ihn. Auf einem der Dächer wurde gearbeitet. Er taumelte beim Aufstehen, ging unter die Dusche und registrierte einen Muskelkater. Anstelle eines Frühstücks nahm er die letzte Banane und fuhr ins Büro.
» Morgen, Kai.«
» Hallo Isabel. Wo ist Petra?«
Isabel pustete Luft aus und machte mit beiden Händen irgendwelche Gesten über ihren Schultern.
Sternenberg ging in sein Büro und wählte Petras Diensttelefon an.
» Ja?«
» Kai. Bist du jetzt im Büro?«
» Ja, natürlich.«
» Allein?«
» Ja.«
» Bleib da, ich komme zu dir runter.«
Er riss das Bürofenster auf, griff sich den Poststapel, warf ihn aber neben den Computer. Er ging zur Tür, schloss ab und nahm die Treppe, zwei Stufen auf einmal. Petra wartete bei offener Tür auf ihn.
» Guten Morgen, was gibt’s denn so Eiliges?«
Er schloss die Tür hinter sich und blieb vor Petra Masalia stehen. » Gib mir die Schlüssel von Tobias Traube.«
» Die Schlüssel?«
» Die Wohnungsschlüssel. Du hast einen eigenen Schlüssel zu seiner Wohnung, oder?«
» Ja …«
» Also. – Bitte.«
Sie drehte sich zu ihrer Aktenmappe. Aus ihr nahm sie eine winzige Handtasche und gab ihm daraus die Schlüssel.
» Ist er jetzt im Dienst?«
» Eigentlich ja. Aber … Sei vorsichtig.« Sie stand regungslos vor ihm und hielt die Aktenmappe.
» Danke.«
» Hör auf.«
» Du bekommst sie in einer Stunde wieder. Er wird nichts erfahren.«
Es gibt eine Zeit der Reflexion und eine Zeit des Handelns, dachte er. Jetzt ist nicht die Zeit der Reflexion. Was für ein Unsinn. » Hey!« Ein Radfahrer wollte vor ihm von der Ampel wegkommen und eierte vor Sternenbergs Kotflügel herum. Ihm folgte ein Schwarm weiterer Radler, die eiligst ins Büro wollten und keine Zeit für die Straßenverkehrsordnung hatten.
Sternenberg klingelte bei dem Namen Traube in der Budapester Straße. Keine Reaktion. Er schloss auf und nahm den Fahrstuhl in den vierten Stock. Es roch schon am Morgen nach Mittagessen
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