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Flammenopfer

Flammenopfer

Titel: Flammenopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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hatte aber eine körnigere Konsistenz. In einem anderen Glas befand sich eine schlanke, hohe Dose, wie sie zum Nachfüllen von Feuerzeugen benutzt wird. Sie trug das orangefarbene Flammensymbol. Im dritten Einweckglas lagen hellblaue Würfel aus einer zusammengepressten Pulvermasse. Sternenberg ließ den Lichtstrahl über das Regal streichen und begriff, dass in allen diesen Gläsern brennbare Stoffe aufgehoben wurden. Tobias Traube sammelte Benzin- und Benzolfläschchen. Und das Pulver oder die Würfel waren Feueranzünder. Er schwenkte das Licht hin und her. Was er suchte, war nicht da.
    Er suchte außerhalb des Alkovens im Flur und ging durch das Wohnzimmer, um auf den Balkon zu sehen. Auch dort stand kein Grill, und im Keller würde man einen Gartengrill nicht deponieren – im Sommer.
    Er ging zurück in den Alkoven. Im untersten Regal befanden sich große Bücher. Auf ihren Rücken standen keine Titel. Er kniete sich und zog eines heraus. Es war ein Fotoalbum. Tobias Traube auf einem Motorrad, vor dem Hintergrund zweier Palmen. Den Vollbart hatte er damals schon, aber außerdem zwei unsägliche Koteletten. Es war die Zeit, in der man ohne Helm fuhr.
    Alle weiteren Seiten waren mit Blumenfotos gefüllt. Ein ganzes Album voller Blüten. Auch das nächste Album. Warum interessiert sich ein Mensch so ausgiebig für Blumen, fragte er sich. Er schlug noch einmal zurück und sah sich einzelne Bilder an. Offenbar hatte Traube eine Makrolinse verwendet, die Kamera war dicht an den Motiven gewesen, daher gab es nur eine flache Schärfentiefe, das heißt, es war stets eine einzige Ebene, ein einziger kleiner Teil des Bildes scharf. Einige Blüten kamen ihm bekannt vor, eine gelbe Feldblume zum Beispiel, oder Klee, die meisten kannte er zumindest nicht beim Namen. Oft war nur ein Blütenblatt scharf oder nur ein Teil eines Blütenblattes. Auch das dritte Album war ein Blütenbuch. Die Unschärfe schien nicht bewusst eingesetzt, eher war es ein Ergebnis des Zufalls, was scharf und somit hervorgehoben war. Jemand macht sich die Mühe, Blumen mit einer Speziallinse zu fotografieren. Trotzdem kommt es ihm offenbar nicht auf die technische Perfektion an. Warum fotografiert er dann?
    Sternenberg vermutete auch in den anderen Alben Blumenbilder. Und wirklich folgte eine Nelkenreihe. Kein einziges Bild genügte ästhetischen Anforderungen. Traube hatte kein Talent. Und dennoch: Er machte sich die Mühe, alle Bilder in seine Alben zu kleben. Vielleicht sah er sich gern Blumen an, egal, wie gut oder schlecht sie aufgenommen waren.
    Auf den letzten Seiten des Albums sah er eine Frau. Es war ein Mädchen, das Traube gut gekannt haben muss, sie posierte für ihn am Strand und in einer Wohnung zuerst im Bikini, dann völlig unbekleidet. Sternenberg blätterte weiter. Es gab nicht viele Fotos von ihr, und das Mobiliar schien aus den frühen Achtzigerjahren zu stammen. Die Tapete im Hintergrund und der Fernseher im Vordergrund und das Mädchen in der Mitte, alles war mit gleicher Schärfe aufgenommen. Dadurch wirkte das Mädchen nicht für sich, sondern es war eben einfach eine nackte Frau inmitten eines Wohnzimmers. Das entfaltete keinerlei Erotik, auch wenn sich das Mädchen die eine oder andere leicht aufreizende Pose hatte einfallen lassen. Das Licht stimmte nicht, die Gestaltung der Umgebung, die Inszenierung … Es wirkte so banal, dass Sternenberg nicht einen Moment das Gefühl hatte, sich etwas Verbotenes anzusehen. Sternenberg hielt Traube zugute, dass damals so fotografiert wurde. Oder nicht?
    Die Blumen mit extrem unterschiedlicher Schärfentiefe, das Mädchen hingegen irgendwo im Bild untergebracht – konnten die Aufnahmen von einem anderen Fotografen stammen? Sternenberg blätterte zu den Blüten zurück. Die Stile waren extrem unterschiedlich, oder sehr ähnlich – in ihrer Gleichgültigkeit dem Motiv gegenüber.
    Das letzte Album war ein Gemisch aus Reisebildern mit Motorrädern und Blumen. Diesmal waren Kakteen dabei. Der Stil hatte sich nicht verändert. Sternenberg schlug die letzten Seiten auf. Sie waren leer. Dann die Seiten davor. Er musste zweimal hinsehen, um in der Frau, die im Bad fotografiert worden war, Petra zu erkennen. Sie stand inmitten des Badezimmers, schien das Handtuch von sich fortgeworfen zu haben und lächelte, vermutlich auf einen Wink des Fotografen hin. Sie mochte ein Zehntel der Bildfläche einnehmen. Ebenso scharf und wichtig schienen die Rohre der Zentralheizung und der leicht verkalkte grüne

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