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Flammenopfer

Flammenopfer

Titel: Flammenopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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Duschvorhang zu sein. Sternenberg sah drei solcher Fotos seiner Kollegin Petra. Für einen Moment schloss er die Augen und fragte sich, ob er ein Voyeur war. Natürlich. Würde er Petra danach noch in die Augen sehen können? Warum nicht, die Fotos hatten die Harmlosigkeit eines Betriebsausfluges in die Sauna.
    Vielleicht ist es ja genau das, dachte er. Du weißt, wie wenig erotisch sie ist. Vielleicht nicht generell, aber hier, in diesem Bad. Du brichst ein in ihr Leben. Du bist ein Polizist, der auf dem Fußboden seines Kollegen sitzt und dessen Privatfotos durchwühlt.
    Er ließ die Taschenlampe über die Regale des Alkovens streichen, über die Dosen und die Gläser und die Alben. Ich muss mich konzentrieren, dachte er, und zwar schnell. Die Zeit läuft.
    Wer fotografiert Frauen und zeigt sie dennoch nur beiläufig? Jemand, der sich für die Frau nicht wirklich interessiert, für den Menschen. Sondern für das Nacktsein an sich, oder für die Situation des Fotografierens. Jemand, der desinteressiert ist? Er würde erst gar nicht zum Fotoapparat greifen. Traube verwendete für die Blüten das Makro und traf sie doch nicht. Wer drückt auf den Auslöser, hat seine Freundin – oder wen auch immer – überredet, sich auszuziehen, und trifft sie dann doch nicht?
    Er schob das Album zurück, schaltete die Taschenlampe aus und lehnte sich an die Wand des Alkovens. Wir suchen einen Kinderpornografen, dachte er. Was ist, wenn … Hat so einer ein Interesse daran, seine Motive ästhetisch abzulichten, sie genau abzubilden? Er setzte sich auf den Fußboden und versuchte, langsam zu atmen.
    Allmählich gewöhnten sich seine Augen an das Dämmerlicht, das von den Deckenstrahlern über den Sportgeräten kam. Er machte eine Armbewegung, um die Armbanduhr abzulesen, eine fast automatische Bewegung. Lesen konnte er das Ziffernblatt nicht. Es hätte ihm auch nicht geholfen, denn wie ihm einfiel, hatte er vergessen, die Zeit vor dem Eintreten in die fremde Wohnung zu prüfen. Das Zeitgefühl war ihm abhandengekommen. Das dämmrige Licht, die verwirrenden Gedanken. Wie würde Tobias Traube reagieren, wenn er jetzt käme? Wie würde Traube reagieren, wenn er glaubte, etwas verbergen zu müssen?
    Sternenberg stand auf, verließ den Alkoven und ließ die Jalousie wieder herunter. Dann räumte er vorsichtig alles beiseite, was auf der Kiste im Flur stand. Es gab kein Schloss, nur einen schweren Kastendeckel. Das Licht war an dieser Stelle besser, und so konnte er sehen, dass die Kiste hauptsächlich mit Papierstapeln gefüllt war. Hunderte, wenn nicht tausende Seiten, unmöglich, das auf die Schnelle zu sichten. Von dem linken Stapel griff er die obersten Zentimeter:
    Eine Arztrechnung vom Urologen, mehrere Taxiquittungen, der Beipackzettel eines Medikaments – offenbar ein leichtes Schlafmittel –, Handouts einer Fortbildungsveranstaltung über Mitarbeiterführung, ein Zeitungsausschnitt über die letzte Documenta in Kassel, ein einmal zusammengefalteter Einkaufszettel, auf der Rückseite eine Bleistiftskizze oder ein großes, durchgestrichenes Wort, zwei abgelaufene Bahntickets Berlin – Kassel und zurück, ein Zeitungsausschnitt über den Wohnungsbrand bei Anselm Jarczynski, ein Kassenbon über Bettwäsche und ein weiterer über Supermarktgemüse.
    Sternenberg legte die Seiten einzeln zurück auf den Stapel. Den Einkaufszettel mit der Bleistiftskizze sah er sich noch einmal genauer an. Es war eine Schraffierung. In der Mitte gab es Linien und Halbkreise. Offenbar hatte unter dem Papier ein Gegenstand gelegen, der mit dem Bleistift abgepaust worden war, möglicherweise eine Münze, der Durchdruck war jedoch nicht zu erkennen.
    Er rückte den Stapel so zurecht, wie er ihn in Erinnerung hatte. Dann nahm er von dem anderen Stapel mehr Papier, hielt es an einer Ecke fest und ließ die Seiten durch die Finger der anderen Hand gleiten. Erneut fand er Artikel über Wohnungsbrände. Nicht ungewöhnlich für einen Mann, der seit Jahren System in die Brandstiftungen einer Großstadt bringen sollte.
    Dann waren da zwei Seiten mit Bleistiftpausen. Die erste so ungenau wie die Schraffur auf dem Einkaufszettel, die zweite klar umrissen. Es waren zwei Kreise. Der kleinere stand genau im Zentrum des größeren. Das Ganze war so groß wie ein Eurostück. Im oberen Teil waren die Buchstaben VERM zu entziffern, der untere Teil war blass und nicht lesbar, obwohl Sternenberg auch hier Buchstaben zu erkennen glaubte. Traube hatte etwas daneben

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