Flammenopfer
ersten Mal allein aus dem Zimmer ging und dabei die riesige Tür bewegte. Er dachte an die Kinder, die Sprotte streichelten. Er dachte an Anja und Tatjana und schwor sich, sie am Abend anzurufen.
Er überlegte, ob es richtig war, den Polizisten Tobias Traube mit Kinderpornografie in Verbindung zu bringen, nur weil er amateurhafte und harmlose Nacktfotos zweier Frauen gemacht hatte. Und weil Anwälte, die bei Bränden ihrer Penthäuser umgekommen waren, mit Kinderpornos handelten. Und jetzt kam van Tannen als Gesprächspartner von Traube ins Spiel. Wenn ich nicht aufpasse, dachte Sternenberg, konstruiere ich einen Mafiaring, den es nicht gibt.
Tarek kam herein. » Hab hier übrigens noch was.« Er legte Sternenberg zwei Papiere vor die Nase. Sternenberg glaubte an Listen und beugte sich interessiert vor. Wich aber gleich zurück. Auf beiden Fotos wurden kleine Kinder sexuell misshandelt.
» Tarek! Schaff mir den Scheiß hier weg!« Er fegte die Bilder vom Schreibtisch und erwischte dabei die Schreibschale samt Kugelschreibern und Pfeife. Alles fiel auf den Boden, es spritzte so, wie die Scherben in Petras Büro. Ich bin ein Idiot, dachte er, und versuchte sich zu sammeln.
Tarek hob alles langsam auf und wirkte ernst und beherrscht.
Sternenberg pegelte seine Stimme herunter. » Entschuldigung. Überreaktion. Ich wollte das heute wirklich nicht sehen.«
» Weiß ich.«
» Ich war in dem Kinderheim. Ich kann das schwer ertragen.«
Tarek nahm die beiden Fotos. » Du hast eine Angstvermeidungsstrategie, Kai. Das steigert nur die Angst.«
» Weiß ich.«
» Man kann Angst nur bezwingen, wenn man sich genau der Sache aussetzt, vor der man Angst hat.«
» Brauchst du mir nicht zu sagen.«
Tarek sortierte unnötigerweise viel mit den Fotos und der Liste herum, sah seinen Vorgesetzten nicht an und sprach ganz ruhig. » Bei den eigenen Ängsten ist man meist blind. Ich habe es nicht wegen des Schockeffektes getan. Ich wollte, dass du dich der Angst stellst und sie nicht weiter verdrängst.«
Sternenberg grinste. » Ist schon in Ordnung, Tarek. Darum bist du ja mein Mitarbeiter. Manchmal brauche ich so was.«
» Meine größte Angst ist«, sagte Tarek, » dass ich bei der Hitze nicht genug zu trinken bekomme. Ich leide unter der quälenden Wahnvorstellung, mein Chef sei so geizig, mich niemals einzuladen, selbst im heißesten Hochsommer nicht.«
Sternenberg lachte. » Komm schon, du Idiot, gehen wir ins Jane Birkin.«
Tareks Mundwinkel fielen herunter. » Nee. Dann verdurste ich lieber.«
Sternenberg saß mit Tarek am Lützowplatz auf einen Aperol Fizz. Die Bar hatte schon ab 15 Uhr geöffnet, sie saßen draußen unter einem Schirm. Die Barkeeperin war zuvorkommend und erregte Tareks Aufmerksamkeit. Tarek erzählte von der Familienfeier in Papenburg, und Sternenberg ließ ihn eine Anekdote nach der anderen vortragen. Zum Abschluss bestellten sie Mineralwasser.
Zu Hause öffnete er die Fenster. Eine leichte Brise war aufgekommen, am Himmel wehten Wölkchen vorüber, die zumindest grau schimmerten und ab und zu an der Sonne vorbeisegelten.
Der Anrufbeantworter meldete kein neues Telefonat. Er suchte die Nummer von Anja, während er die Hamburger Vorwahl 040 wählte. Er fand sie, tippte sie ein, aber es nahm niemand ab. Mit der Vorwahl von Portugal und Coimbra war es schwieriger. Tatjana hatte er nicht in sein Telefonnotizbuch eingetragen. Die Nummer war auf einen Zettel gekritzelt, und der war gerade weg. Er fand ihn unter dem Telefon.
Entferntes Tuten, dann eine Frauenstimme: » Cinquenta-Sessenta-Dezaseis, boa noite!«
Es war nicht Tatjana.
» Boa noite«, sagte er vorsichtig. » Seniorina, ehm … Senhora Ster-nen-berg, por favor!?«
» Não. O quê? Não percebi.«
Sternenberg verstand kein Wort. » Tatjana Sternenberg bitte, sie ist Studentin, ähm, studiosa …«
» Deixe-me em paz! Desaparece!«
» Hallo?«
Die Frau legte auf.
Er nahm die Dosenpaletten Hundefutter aus der Küche, brachte sie zum Auto und fuhr sie zu den » Glühwürmchen«. Eine der Erzieherinnen zeigte ihm den Weg, wo er seine Ladung ablegen sollte. Plötzlich kam Sprotte von der Seite und sprang an ihm hoch.
» Na, Mädchen, du bist ja wieder so aufgekratzt wie früher.«
Er strich ihr mehrfach über den Kopf, sah dem Tier in die Augen und klopfte ihm auf die Seite. Sprotte hechelte ihn an und wedelte und war wieder verschwunden. Wahrscheinlich warteten die Kinder auf sie.
Nachdem er die Erzieherin gebeten hatte, der alten
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