Flandry 6: Schattenwelt
Niemals. Nicht seit dem Unglück der La Reine Louise.«
Flandry versuchte sich zu erinnern. Der Name sagte ihm nichts … Nein, doch. Vor fünf Jahren war es geschehen, während er außerhalb des Solaren Systems weilte. Unbeeindruckt vom Bürgerkrieg hatte ein Luxusliner Callisto angelaufen, als seine Schutzfeldgeneratoren ausfielen. Die Strahlung, die den Riesenplaneten umgibt und seine inneren Monde einschließt, hatte jeden an Bord getötet; keine Behandlung vermochte einen Körper wiederherzustellen, der von solchem Feuer, das man nicht spürte, verbrannt worden war.
In Jahrhunderten der Erforschung und Besiedlung des Alls hatte sich kein zweiter Unfall dieser Art ereignet. Magnetohydrodynamische Schilde und ihre Ersatzsysteme sollten von allem unverwundbar sein, was ein Schiff oder eine Siedlung nicht ohnehin vernichtet hätte. Sabotage also? Auf der Passagierliste hatten etliche einflussreiche Persönlichkeiten gestanden. Eine Untersuchungskommission war zu dem vagen Befund gekommen, Ursache des Unglücks sei eine ›Verkettung von Fahrlässigkeit und Unterlassungen‹ gewesen.
»Mein armer junger Neffe, von dem ich den Herzogstitel erbte, war unter den Opfern«, fuhr Niccolini fort. »Das hat in mir den guten alten Selbsterhaltungstrieb geweckt, das kann ich Ihnen sagen, ’s gibt sowieso schon viel zu viele Gefahren. Nicht dass ich mir einreden würd, ich würd im politischen Fadenkreuz sitzen. Trotzdem, man kann nie wissen, oder? Also erzähl’n Sie mir schon von dem Lokal, das Sie gefunden ha’m. Wenn es int’ressant klingt, besorg ich mir Sensie.«
Eine Kurierin in kaiserlicher Livree, die in die Laube trat und sich verbeugte, errettete Flandry. »Bitte tausendfach um Verzeihung, Hoheit«, sagte sie. »Sir Dominic, für Sie ist eine wichtige Nachricht eingetroffen. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?«
»Mit zwiefachem Vergnügen«, erwiderte Flandry, denn sie war jung und wohlgeformt. Ihren Akzent konnte er nicht ganz einordnen, aber er vermutete, dass sie von irgendwo auf Hermes stammte.
Wer immer ihn rufen ließ, und ob die Angelegenheit schrecklich oder trivial war, er war den Herzog früher los geworden, als er sich von allein hätte davonmachen können. Der Adlige quittierte seine Entschuldigung mit einem undeutlichen Nicken und starrte Flandry hinterher, während er ganz allein zurückblieb.
Seine Imperiale Majestät, Hochkaiser Hans Friedrich Molitor, Erster seiner Dynastie, Strahlender Schutzherr des Friedens, Großvorstand des Stellaren Rates, Oberkommandierender der Streitkräfte, Höchster Richter, anerkannter oberster Gebieter auf mehr Welten und Ehrenvorsitzender von mehr Organisationen, als ein Mensch sagen konnte, saß allein in der obersten Turmkammer. Sie war sparsam eingerichtet: ein Schreibtisch mit Kommunikator, eine mit abgenutztem, aber echtem Pferdeleder bezogene Couch, einige Stühle mit senkrechtem Rücken und der große pneumatische Sessel, auf dem er saß. Die einzigen persönlichen Gegenstände waren ein Dolchzahnfell von Germania an der Wand, zwei Porträts seiner verstorbenen Frau, in ihrer Jugend und im Alter, und das Bildnis eines blutjungen Mannes, dazu das Modell der Korvette, die sein erstes Kommando gewesen war. Ein Segment des Turmdaches, das in Hüfthöhe begann, war gerade transparent und gestattete von diesem Horst einen Blick auf einen beleuchteten Komplex aus Dächern, Türmchen, Gärten, Teichen, Außenmauern und verbindenden Fundamenten, und schließlich das nächtliche Meer.
Die Kurierin ließ Flandry den Vortritt durch die Tür und verschwand, als sie sich hinter ihm schloss. Er nahm Habtachtstellung ein und salutierte. »Rühren«, sagte der Kaiser. »Setzen Sie sich. Sie dürfen rauchen.«
Seine Majestät paffte eine Pfeife, deren Gestank die Lufterfrischer überforderte. Trotz des blauen Uniformrocks, der weißen Hose und der Goldlitzen mit dem Spiralnebel und den drei Sternen eines Grand Admirals sowie dem Pyrokristallring Manuels des Großen bot er keinen sonderlich beeindruckenden Anblick. Obwohl er nur wenige Spuren des Alters zeigte, konnte sich nicht die Medotechnik rühmen, dafür verantwortlich zu sein. Der kurze, untersetzte Leib hatte einen Kesselbauch angesetzt, unter den kleinen, dunklen Augen saßen Tränensäcke, und das Haar auf dem kantigen Kopf war dünn und grau: nichts, was sich durch die Biokosmetik, die er so verachtete, nicht leicht hätte beheben lassen. Er hatte sich auch nie um sein Gesicht gekümmert, die niedrige
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