Flandry 6: Schattenwelt
machen darf, könnte eine treffen, die dem Imperium nicht gefällt. Mit zunehmendem Misstrauen und zunehmender Zentralisierung wächst die Unfähigkeit. Verteidigung und öffentlicher Dienst beginnen gleichermaßen zu zerfallen. Was kann so etwas anderes nach sich ziehen als eine Rebellion? Seit zwei Generationen schleppt sich unser umfassender Staat daher schon dahin, alles wird schlimmer, bis nun …«
»Die Lange Nacht?« Flandry erschauerte leicht in der linden Luft.
»Ich glaube, noch nicht ganz. Wenn wir den früheren Beispielen folgen, wird das Imperium noch eine neue Blüte erleben – falls man das zentralisierte Gottkaisertum, das uns bevorsteht, als ›Blüte‹ bezeichnen möchte. Aber falls der Gedanke an solch eine Staatsform Ihnen keine Jubelschreie abringt, so bedenken Sie, dass auch dieser zweite Friede der Erschöpfung nicht anhalten wird. Zu gegebener Zeit kommt es zum endgültigen Zusammenbruch.«
»Woher wollen Sie das wissen?«, fragte Flandry.
»Das Zyklische erfüllt die Geschichte, ja, sogar die Archäologie des ganzen Planeten, auf dem wir sitzen. Das alte China und das noch ältere Ägypten haben den ganzen traurigen Schlamassel gleich dreimal durchgemacht. Die westliche Zivilisation, mit der die unsere zusammenhängt, entsprach etwas sehr Ähnlichem, dem Römischen Reich, auf das einige unserer Herrscher so gern als beispielhaft glorreich zurückgriffen. Oh, auch wir werden unseren Diokletian haben; doch keine hundert Jahre nach seinen Reformen kampierten die Barbaren in Rom und ernannten Kaiser nach ihrem Gutdünken. In meinem eigenen Heimatland … aber es besteht kein Bedarf nach einem Katalog vergessener Nationen. Aus einem guten Dutzend Gründen haben wir Chroniken, die bis an den Rand der Übelkeit in die Einzelheiten gehen; alles in allem finden wir darin über fünfzig Beispiele allein im Staub dieser einen Welt.
Wachstum, bis Fehlentscheidungen den Zusammenbruch herbeiführen; dann immer grausamere Kriege, bis das Reich den Frieden durchsetzt; dann die Auflösung dieses Friedens, seine Wiedereinsetzung, sein abermaliger, endgültiger Zusammenbruch und ein dunkles Zeitalter, bis in den Ruinen eine neue Zivilisation ersteht. Die Technische Zivilisation hat diesen Weg beschritten, als die Polesotechnische Liga sich von einer Organisation des gegenseitigen Beistands freier Unternehmer zu einer Reihe von Kartellen entwickelt. Heute Abend sind wir diese Straße schon weit gegangen.«
»Das haben Sie von allein entdeckt?«, fragte Flandry mit längst nicht so großer Skepsis, wie er sie sich gewünscht hätte.
»O nein, nein«, antwortete Desai. »Die grundlegende Analyse ist tausend Jahre alt. Man kann damit nur nicht angenehm leben. Eine Verhütung des Zusammenbruchs oder die Erholung davon bedarf mehr Gedanken, Mut und Opferwillen, als Menschen bislang Generation für Generation auszuüben in der Lage waren. Viel einfacher ist es, erst die Doktrin zu verzerren und sie zur Rationalisierung statt zur Rationalität zu verwenden, um sie dann zu ignorieren und schließlich zu unterdrücken. Ich habe Beispiele für dieses Phänomen in bestimmten Archiven entdeckt, aber Ihnen ist klar, dass dieses Gespräch vertraulich bleiben muss. Das Imperium würde eine solche Beschreibung seiner selbst nicht sehr geneigt aufnehmen.«
»Nun …« Flandry trank einen Schluck Cognac. »Nun, da könnten Sie recht haben. Und völliger Pessimismus verleiht auch einen gewissen Halt. Wenn wir schon dazu verurteilt sind, nach dieser Melodie zu tanzen, dann können wir es wenigstens mit Würde tun.«
»Eine absolute Unausweichlichkeit besteht nicht.« Desai paffte weiter vor sich hin. Das Ende seiner Zigarette war ein kleiner roter Pulsar. »Ich würde sagen, dass wir auch noch so spät im Spiel einen Neuanfang schaffen könnten, wenn wir die Mittel dazu hätten – und vor allem den Willen. Tatsächlich wird die Entwicklung jedoch oft durch fremde Eroberer abgebrochen. Ein Imperium in der anarchischen Phase stellt eine besonders große Versuchung dar und ist geneigt, Invasoren zu dulden. Osmanen, Afghanen, Moguln, Mandschu, Spanier, Briten – sie und die, die ihnen ähnelten, wurden auf diese Weise die Oberherren über Kulturen, die sich von der ihren unterschieden.
Jenseits unserer Grenzen sind die Merseianer die wahre Bedrohung. Kein Barbarenpack, das nur ein Vakuum füllt, welches wir durch unsere politischen Unruhen erzeugen – kein realistisches Ythri, das uns als seinen natürlichen
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