Flandry 6: Schattenwelt
Verbündeten ansieht – kein erbärmliches gorrazanisches Restreich – sondern Merseia. Wir schikanieren und behindern das Roidhunat, wo wir können, denn wir dürfen nicht zulassen, dass es zu stark wird. Bedenken Sie, welcher Ansporn unsere Ausschaltung als Hindernis vor der Erfüllung ihrer Träume für die Merseianer wäre!
Deshalb graut mir vor den Folgen des Aufbruchs Seiner Majestät. Wenn er zu Hause bliebe, die Regierung und die Streitkräfte durch seine Arbeit stützte, bereit, rasch jeden Versuch eines Aufstands niederzuschlagen, könnte er uns bis ans Ende seines Lebens vor jeder Invasion schützen. Ohne seine Anwesenheit … ich weiß es nicht.«
»Die Merseianer ständen bereit, sich jede Revolte sofort zunutze zu machen«, wandte Flandry ein. »Angenommen, Sie haben recht mit Ihrem historischen Muster, so muss man sich fragen, ob sie davon ahnen. Wie verbreitet ist es eigentlich?«
»Richtig, wir besitzen nicht das nötige Wissen, um zu sagen, ob überhaupt und wenn, dann inwieweit diese Gesetzmäßigkeiten auf Nichtmenschen anwendbar sind«, gab Desai zu. »Wir sollten diese Kenntnisse besitzen. Tatsächlich war es Merseia und nicht das Imperium, was mich zu diesen Betrachtungen getrieben hat – denn die Merseianer müssen ihre eigenen Dämonen haben, und überlegen Sie nur, welche Waffe ein verallgemeinerter Mechanismus, der sowohl auf sie als auch auf uns zutrifft, in den Händen unserer Diplomaten sein könnte!«
»Hm?«, machte Flandry, erneut erstaunt. »Wollen Sie andeuten, dass die Merseianer vielleicht schon dekadent sind? Das hört man nicht oft.«
»Nein, wahrlich nicht. Aber was bedeutet Dekadenz bei einem Nichtmenschen? Ich habe andere Pläne für meinen Ruhestand als die Lektüre von Sutren; ich hoffe, meine Erfahrung und meine Kenntnisse auf genau solche Fragestellungen anwenden zu können.« Der alte Mann seufzte. »Notwendigerweise gehe ich davon aus, dass das Imperium seinen Feinden nicht zum Opfer fällt, ehe ich einige Fortschritte gemacht habe. Das könnte eine unangebracht optimistische Voraussetzung sein … wenn man bedenkt, welchen Vorsprung das Roidhunat dahingehend besitzt, uns zu verstehen.«
»Wollen Sie damit andeuten, sie kennen diese Theorie der Menschheitsgeschichte, die Sie mir gerade umrissen haben?«
»Ja, ich fürchte, dass zumindest einige merseianische Denker damit nur allzu vertraut sind. Nachdem ich die Episode viele Jahre lang überdacht hatte, kam ich zu dem Schluss, dass Aycharaych genau wusste, was er tat, als er versuchte, von Aeneas ausgehend einen heiligen Krieg des Menschen gegen den Menschen zu entfachen.«
Aycharaych. Ein Frösteln durchlief Flandry. Er hob die Augen zu den verblassenden Sternen. Sol würde ihm ihren Anblick schon bald verwehren, doch sie blieben, wo sie waren, und warteten.
»Ich habe mich oft gefragt, was ihn und seinesgleichen dazu bewegt, Merseia zu dienen«, sann Desai. »Ein Genie kann man nicht zum Dienst verpflichten. Die Chereioner müssen also etwas dabei zu gewinnen haben. Aber was … von einer fremden Spezies, einer fremden Kultur?«
»Aycharaych ist der einzige von ihnen, dem ich je begegnet bin«, sagte Flandry. »Ich glaubte manchmal, er halte sich für einen Künstler.«
»Ein Künstler der Spionage und Sabotage, dessen Material lebendige Wesen sind? Nun, denkbar wäre es. Wenn das alles ist, wäre er nicht beneidenswerter als Sie oder ich.«
»Wieso?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen den Grund erklären kann; ich weiß es nicht einmal bei mir selbst. Wir hatten nicht das große Glück, in einer Zeit geboren worden zu sein, in der unsere Gesellschaft uns etwas Transzendentales bot, für das wir leben und sterben könnten.« Desai räusperte sich. »Es tut mir leid. Ich wollte Ihnen keinen Vortrag halten.«
»Aber nein, ich danke Ihnen«, erwiderte Flandry. »Ihre Gedanken sind sehr interessant.«
IV
Die Hooligan sprang von Terra, durchbohrte den Himmel und strebte in den Weltraum. Die konstante interne Schwerkraft von Terrastärke ließ nicht vermuten, mit welch wilder Beschleunigung sie auf Regionen zuhielt, die weit genug entfernt waren, dass sie auf Hyperantrieb gehen und das Licht überholen konnte. Auch ihre Maschinen sprachen nichts, was über ein fast unmerkliches Wispern und Zittern des Rumpfes hinausgegangen wäre. Doch wie sie vor dem großen Bildschirm im Salon stand, konnte Kossara zusehen, wie der Planet immer schneller schrumpfte, von einer wolkigen Gewaltigkeit zu einer
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