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Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Titel: Flaschendrehen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Greifeneder
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deutscher und pflichtbewusster, als sie selbst gemerkt oder zugegeben hätten, denn ihre Jobs aufs Spiel zu setzen und ganz wegzuziehen, dazu waren sie nicht in der Lage. Und die Bhagwan-Klamotten konnte ich mit meinem Recht auf Selbstbestimmung erfolgreich ablehnen, das erste Mal übrigens, dass ich meine Eltern mit ihren eigenen Mitteln und Argumenten schlug.
    »Warum lädst du nicht deinen Chef auf deine Einweihungsparty ein, wenn er so toll ist? Wir dürfen ja was mit ihm anfangen«, schlug Sarah vor.
    »Mit wem wollt ihr was anfangen?«, hörte ich eine dunkle, nur zu bekannte Stimme fragen.
    Ben war unbemerkt hereingekommen. Lieber rannte ich nackt durch den Supermarkt um die Ecke und rief vor der Käsetheke »Holla die Waldfee«, als zuzugeben, dass es mich doch noch jedes Mal traf, wenn ich ihn sah. Diese Anziehung war zumindest von meiner Seite aus nicht wegzudiskutieren. Dabei war Ben keine Schönheit im klassischen Sinne, aber eben ein guter Typ. Er war groß, hatte kurz rasierte Haare und das, was man ein Charaktergesicht nannte, dunkle, wache Augen und ein mitreißendes Lachen, wenn es zum Vorschein kam, denn oft wirkte er eher in sich gekehrt oder grübelte.
    »Mit Gretchens neuem Chef Clemens. Der muss wahnsinnig faszinierend sein. Er hat Gretchen gefragt, bei welchem Film sie das letzte Mal geweint hat. Bei welchem Film hast du denn das letzte Mal geweint, Ben? Wobei: Du weinst bestimmt nie, oder?«
    Sarah war in ihrem Element, was nicht zuletzt an ihrem Cocktail lag. Bei Sarah brauchte es nie viel. »Billige Verabredung« nannte Rudi diesen Schlag Frauen.
    Ben schaute mich erstaunt an und setzte sich.
    »Was hast du geantwortet?«
    Wie wäre es erst einmal mit »Hallo Gretchen, willkommen in Berlin. Tut mir Leid, dass ich bisher nicht vorbeigeschaut habe, auch wenn ich nur fünfhundert Meter Luftlinie von dir entfernt wohne«. Aber nein, Ben tat so, als ob ich seit Jahren hier wohnte und wir uns zu unserem wöchentlichen Stammtisch trafen.
    »Ich hab geantwortet, dass ich im Prinzip schon weine, wenn ich einen frierenden Hund sehe.«
    Ben schmunzelte.
    »Stimmt, das ist typisch Gretchen.«
    Ach ja? Und woher wollte er bitte wissen, was typisch für mich war?
    »Was hättest du denn gesagt?«, stellte ich die Gegenfrage. Warum nur fühlte ich mich in Bens Gegenwart unsicher und klein? Vor allem versuchte ich, ständig witzige und kluge Dinge zu sagen, die ihm gefielen.
    »Keine Ahnung, vielleicht, dass es meine Privatsache ist oder aber, dass ich es wie Rossini halte, der sagte, er habe nur drei Mal in seinem Leben geweint. Das erste Mal, als seine Mutter gestorben ist, das zweite Mal, als ein anderer Komponist ein schöneres Stück geschrieben hat, und das dritte Mal, als ihm ein kandiertes Hühnerbein bei einer Bootsfahrt ins Wasser gefallen ist.«
    Wir mussten alle lachen.
    Typisch Ben! Ließ sich nie in die Karten schauen. Typisch Liv, die gerade dazugekommen war, sofort übertrieben laut mitlachte und ihn bewundernd ansah. Ben merkte wie immer nichts davon oder ignorierte es. Im Gegensatz zu mir und den anderen. Ihre schnarrende Stimme nach einem harten Tag war zu viel des Guten. Mir war es ein Rätsel, wie eine Frau wie Liv, die es mit ihrer Größe, Figur, den wallenden Haaren und dem schönen Gesicht mit jedem Model aufnehmen könnte, so unsicher war, wenn es um ihren Freund ging.
    Ben setzte sich zu mir.
    Wie üblich hatte er mich angelächelt zur Begrüßung, und das war’s. Keine Umarmung, keinen Kuss auf die Wange. Gut, er war dafür bekannt, niemanden gern an sich ranzulassen, aber irgendwie fand ich es übertrieben, wenn man bedenkt, dass ich gerade nach Berlin gezogen war. Wenigstens eine kleine Willkommensgeste hätte ich erwartet, und wenn’s nur ein verlegener Schulterklopfer gewesen wäre. Stattdessen fragte er mich interessiert: »Na Gretchen, wie isses, wieder in Rudis Obhut zu leben? Passt er auf, dass du keine Männer triffst?«
    Er spielte auf Rudis übertriebenen Beschützerinstinkt an. Bis ich zu Hause ausgezogen war, hatte Rudi kontrolliert, wen ich traf und ob es sich um vertrauenswürdige Jungs handelte oder ob ihnen ein mieser Ruf vorauseilte. Er war bestimmt deshalb so besorgt, weil er sich selbst und die Art, wie er mit Mädels umging, bestens kannte, da konnte einem schon angst und bange um die kleine Schwester werden.
    Lachend winkte ich ab.
    »Ach, die Zeiten sind vorbei. Seit ich die dreißig überschritten habe, ist er um jeden froh, der mir auch nur das leiseste

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