Flaschendrehen: Roman (German Edition)
Notoperationen oder schwierigen Fällen erzählte. Jedes Mal war ich froh, dass es Menschen wie sie gab, die unerschrocken Blut sehen und Körperteile aufschneiden konnten. Rudi und Ben unterhielten sich über einen Werbetext, an dem Rudi arbeitete; Leila betrieb höflich Konversation mit Liv, wobei sie nicht amüsiert aussah. Liv musste nach dem Hauptgang los, weil sie noch beim Geburtstag einer Kommilitonin eingeladen war, worüber ich nicht wirklich traurig war. Ben war nicht mit eingeladen, oder er wollte als Lehrbeauftragter der Uni nicht auf den Geburtstag einer Studentin. Liv verabschiedete sich so überschwänglich von Ben, dass man glauben konnte, sie lasse ihn in den Krieg ziehen und würde ihn nicht ein paar Stunden später beim Zähneputzen wieder sehen. Ben war kein Freund großer öffentlicher Szenen und ließ die Verabschiedung eher »geschehen«.
Ich bestellte die hausgemachten Kokosgeleetäschchen, Sarah den grünen Teekuchen und die anderen Bananen im Honigteigmantel.
»Also wenn Liebe wirklich durch den Magen geht, dann würde ich dieses Restaurant vom Fleck weg heiraten!«, sinnierte Sarah leicht beschwipst. Sofort entbrannte eine Diskussion über Heirat – ja, nein –, Kinder – ja, nein, und wenn ja, wann …
Bedachte man, dass keiner von uns verheiratet war und Leila als Einzige ein Kind hatte, musste man sich wirklich nicht wundern, dass die Renten nicht sicher waren und wir Deutschen laut Spiegel in zwölf Generationen ausgestorben sein würden, wenn die Geburtenrate nicht anstieg. An mir sollte es nicht liegen, ich würde meine vaterländische Pflicht nur zu gern erfüllen, sobald der richtige Mann, also Clemens, bereitstand.
Sarah und Rudi diskutierten derweil über die Existenz der großen Liebe.
»Glaubst du an die große Liebe?«, fragte ich Ben.
Er überlegte kurz.
»Na ja, an die große Liebe schon, aber an ihre Haltbarkeit nicht. Ich denke, es läuft immer nach dem gleichen Muster ab. Man verliebt sich, denkt, das wird immer so bleiben, hat großartigen Sex zu jeder Tages- und Nachtzeit, ist sicher, dass es bei diesem einen Menschen nie anders sein wird, will jede Minute mit der geliebten Person verbringen, was man dann auch tut, um dann einige Jahre später festzustellen, dass man doch wieder in der Tretmühle gelandet ist, in die man nie geraten wollte. Man trennt sich, verliebt sich, und das Ganze geht von vorne los.«
Wenn er seine Theorie Liv ebenfalls anvertraut hatte, tat sie mir Leid; dann verstand ich auch, weshalb sie so deutlich machen musste, dass Ben zu ihr gehörte, damit ja keine andere Frau auch nur auf die Idee kam, sich in ihn zu verlieben und großartigen Sex mit ihm zu praktizieren.
»Angenommen, deine Theorie stimmt, heißt das dann, dass du alle paar Jahre eine neue Frau suchen wirst?« Innerlich dankte ich dem Schicksal, dass es Ben an mir hatte vorbeiziehen lassen und mir stattdessen Clemens geschickt hatte.
Ben kniff für einen Moment die Augen zu, was er immer machte, wenn er begann, sich ernsthaft Gedanken zu machen.
»Da bin ich noch unentschieden. Eine Möglichkeit wäre tatsächlich, in wechselnden Beziehungen zu leben, wobei man ab einem bestimmten Alter womöglich an seine Grenzen stößt, weil entweder alle verheiratet sind oder man selbst nicht mehr attraktiv genug ist und dann allein übrig bleibt ohne Familie und Kinder, denn diese Lebensform schließt Kinder aus – zumindest fände ich alles andere verantwortungslos.«
Immerhin wollte er keine Kinder in die Welt setzen, die sich alle paar Jahre den neuen Namen der Stiefmutter merken mussten.
»Eine andere Möglichkeit ist, dass man akzeptiert, mit jeder Frau immer an denselben Punkt zu gelangen, und deshalb einzusehen, dass man sich die Wechselei auch sparen kann. Man sucht sich die passendste Frau, die man bekommen kann, und gründet mit ihr eine Familie. Und jetzt wird es schwierig, denn entweder ist das Leben mit Kindern so erfüllend, dass man auch ohne die ganze Aufregung der ersten Verliebtheit, die Schwärmerei und die Schmetterlinge im Bauch glücklich ist, denn, machen wir uns nichts vor, nach zehn Ehejahren wird man die nicht mehr verspüren, wenn der Partner zur Tür reinkommt. Oder …«
»Oder?«, forderte ich Ben auf weiterzusprechen.
»Oder du sitzt mit genau denselben Gefühlen wieder da, nur dieses Mal mit Kindern dazu. Da du aber niemanden sitzen lassen willst, suchst du dir eine Affäre, wirst Amateurradfahrer oder beginnst mit Gartenarbeit.«
Jetzt tat mir
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