Flaschendrehen: Roman (German Edition)
Durchschnittsmitteleuropäer.«
Clemens nickte und fuhr sich durch die Haare. Eine Geste, die ihm ausgezeichnet stand und sein dichtes Haar betonte.
»Ihr habt genau erkannt, woran es liegt. Ich denke, wir müssen keinem Leser beweisen, dass wir studiert haben und wissen, dass man Rhythmus mit ›th‹ schreibt und Molière kein französisches Mineralwasser ist. Dieses selbstverliebte pseudointellektuelle Getue, um sich selbst einen Altar zu schaffen, ist der Anfang vom Untergang. Schließlich wollen wir den Leser ja gerade ins Kino bekommen, ihn auf ein Buch neugierig machen oder mal wieder zum Kauf einer CD animieren.
Bono von U2 sagt, man ist dann alt, wenn man sich nicht mehr für neue Musik begeistern kann und nur noch Songs aus der Vergangenheit hört. Diane, ich erwarte von dir, dem Leser klar zu machen, dass neue Musik auch für seine Entwicklung wichtig ist, wenn er nicht stehen bleiben will, und sie ihn bereichern wird.«
Diane nickte zustimmend.
»Michi, ein Buch muss unterhalten! Wenn du dich durchquälst, wird das dem Leser nicht anders ergehen, also sag ihm ehrlich, was ihn erwartet.«
Michi strahlte.
»Gretchen, ich habe dich vorhin nicht umsonst gefragt, wann du das letzte Mal im Kino geweint hast, denn das Letzte, was ich will, ist jemanden fürs Filmressort, der so viele Filme konsumiert hat, dass er längst abgestumpft ist und keine Emotionen mehr hat. Ihr müsst Begeisterung nahe bringen, ohne die Leute zu belehren. Schreibt, wie ihr sprecht, wie ihr es euren besten Freunden erzählen würdet. Macht sie neugierig und verratet nicht zu viel und – ganz wichtig – bleibt euch treu und kümmert euch nicht darum, wie andere Kollegen eine CD , ein Buch oder einen Film bewerten. Ihr müsst euch selber zum Maßstab machen, ohne dabei arrogant oder abgehoben rüberzukommen!«
Wow, was war der Mann leidenschaftlich! Und mitreißend sprechen konnte er auch. So hätte ich mir eine deutsche Antwort auf John Kennedy jr. vorgestellt. Smart, gut aussehend, charmant und mit ’ner Menge Stil. Er wusste, was er wollte, und das Beste: Er sprach mir aus der Seele! Genau so wollte ich meinen Job machen und nicht anders!
Mich musste er auf alle Fälle nicht überzeugen.
Diane und Michi schienen ebenfalls Feuer und Flamme zu sein. Aber wenn mich nicht alles täuschte, hatte er mich immer einen Tick länger angeschaut als die anderen!
»Hier sind wir, Gretchen!«
Sarah fuchtelte wild mit den Armen. Toll, jetzt wusste jeder im Mao Thai, wie ich hieß. Sarah, Rudi und Leila hatten es sich schon im hinteren, ruhigeren Teil des Restaurants, das einer Bambushütte nachempfunden war, gemütlich gemacht. Ich war zwar erst zweimal hier gewesen, hatte das Mao Thai aber sofort zu meinem Lieblingsthailänder erklärt. Überall standen Schalen, in denen frische Orchideen und Teelichter schwammen. Ein aus Holz geschnitzter Hahn mit Goldüberzug zierte den Eingang, und die Bedienung trug landestypische Gewänder. Das Essen schmeckte himmlisch und war mit viel Liebe zum Detail zubereitet. Jedes Gericht wurde mit kunstvoll geschnitztem Gemüse garniert, vom aufmerksamen Personal bekam man die Servietten auf den Schoß gelegt, und zwar mit einem Lächeln.
Leila und Sarah aßen Satayspieße und tunkten sie abwechselnd in ein Schälchen mit Erdnusssauce und ein Schälchen mit saurer Chilisauce, was einer Auszeichnung gleichkam, denn Sarah tunkte nicht gern ihr Essen mit anderen in eine Sauce. Sie fand alles, was nicht dem hygienischen Standard eines OP -Saales entsprach, eklig und trug stets ein Fläschchen Sagrotan für die Reise bei sich.
Natürlich konnte ich mir einen Kommentar nicht verkneifen.
»Mensch, du traust dich was. Heute haust du aber mal richtig auf die Pauke, was? Mit anderen aus einem Topf essen. Hut ab!«
Sarah verdrehte gespielt genervt die Augen.
»Haha, sehr witzig. Setz dich, Bazillenschleuder! Ich hab dir ’nen frischen Ingwertee bestellt.«
Gern folgte ich ihrer Anweisung … Hach, tat das gut, nach einem aufregenden Tag wie heute!
»Ben kommt auch noch«, sagte Rudi und nahm einen Schluck von seinem Asahi-Bier.
Mein Herz klopfte kurz schneller, aber nur einen klitzekleinen Moment, dann hatte ich mich wieder im Griff.
»Mit oder ohne Liv?« Ich hoffte inständig ohne Liv, wenn es ein netter Abend werden sollte.
»Keine Ahnung. Ich kann nicht immer so auffällig nachfragen. Ich glaube, Ben weiß auch so, dass wir Liv nicht wirklich spannend finden!«
Nein, spannend war wirklich nicht der
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