Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Titel: Flaschendrehen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Greifeneder
Vom Netzwerk:
richtige Ausdruck für sie. Nervtötend eher, außerdem konnte sie mich nicht leiden, seit Rudi ihr in bekifftem Zustand von meinem peinlichen Auftritt beim Abiball erzählt hatte und sie seither überzeugt war, ich sei noch immer hinter Ben her! Lächerlich!
    »Wer ist denn diese Liv, und wieso könnt ihr sie nicht leiden?«, fragte Leila, die sich bemühte, unauffällig etwas dichter an Rudi heranzurücken.
    »Bens Freundin. Lass dich einfach überraschen, und mach dir dein eigenes Bild!«
    Ich atmete tief aus und schloss die Augen. Das sanfte Licht und die beruhigenden asiatischen Klänge taten ihr Übriges. Rudi trat mir unsanft ans Schienenbein.
    »Hallo? Schlaf gefälligst zu Hause! Wir wollen wissen, wie dein erster Tag bei Phosphor war. Meinst du, du überlebst die Probezeit?«, foppte mich Rudi.
    Bestimmt nicht, wenn ich versuchte, meinen neuen Chef ins Bett zu bekommen.
    »Abgesehen davon, dass ich zu spät gekommen bin und eine meiner Kolleginnen einen übersteigerten Selbstdarstellungsdrang hat, war’s ziemlich gut. Der Chefredakteur ist umwerfend! Gut aussehend, gebildet, interessant und ungewöhnlich anziehend. Der hat mich als Erstes gefragt, bei welchem Film ich das letzte Mal geweint habe …«
    Sarah sah mich skeptisch an.
    »Was willst du andeuten? Dass du dich in deinen Chef verknallt hast?«
    Nein, aber ich war auf dem besten Weg dahin, nach nur einem Tag!
    »Quatsch, aber der Mann hat auf alle Fälle Ausstrahlung. Ich kann es nicht mal richtig erklären, aber irgendwas hat der. Unsere Zusammenarbeit wird super, das spüre ich. Und wir haben auf alle Fälle dieselbe Auffassung, was den Job anbelangt.«
    Leila lachte.
    »Solange es nur den Job betrifft, ist es doch okay, oder gilt heute nicht mehr: niemals jemanden in der Firma flachlegen?«
    Rudi war auf einmal hellwach. Klar, er hatte »flachlegen« gehört.
    »Also, so weit würde ich nicht gehen. Bei uns heißt das: niemals dieselbe Kostenstelle flachlegen, andere Abteilungen sind okay. Zum Glück arbeiten in meiner Abteilung fast nur Männer, und Praktikantinnen fallen unter eine Sonderregelung, schließlich gehen die nach ein paar Monaten wieder, was eigentlich ganz praktisch ist, wenn man es gut timt.« Rudi arbeitete als Werbetexter bei einer angesagten Agentur, deren Praktikantinnen vor allem danach ausgesucht wurden, wie dekorativ sie waren. Ja, Chauvinismus gab es nach wie vor in unserer aufgeklärten Berufswelt. Wenn unsere Eltern wüssten, dass ihre Generation in dieser Hinsicht nicht viel verändern konnte und der eigene Sohn den Missstand auch noch ausnutzte, wären sie entsetzt. Rudi hatte es gut raus, seine Vielweiberei mit etwas Ideologie gewürzt als freie Liebe und Auflehnung gegen kleinbürgerliche Zwänge zu verkaufen. Hatte er sich bestimmt in Poona abgeschaut, als wir damals meine Eltern in den Ferien in den Aschram begleiten mussten. Mit Grauen dachte ich heute noch an die sechs Wochen in Poona zurück, wo meine Eltern seltsame Aggressions-, Meditations- und Tantragruppen besuchten, während wir zu Kindern gesteckt wurden, deren Eltern im Aschram lebten. Meistens sich selbst überlassen, durften diese Kinder alles, was sich für Rudi und mich erst einmal toll anhörte, letztendlich aber ziemlich langweilig war. Denn mir wurde schnell klar, dass ohne Grenzen keine Grenzüberschreitung Spaß macht, weil der Kitzel, Verbotenes zu tun, wegfiel. Rudi, der schon vierzehn und mitten in der Pubertät war, fand’s mit den Mädchen dort natürlich Klasse und wollte meine Eltern überreden, für immer im Aschram zu bleiben. Offiziell tat er so, als gefielen ihm die Lehren Bhagwans und die Meditationen, aber eigentlich hatte er nur keine Lust mehr aufs deutsche Schulsystem.
    Ich hingegen wollte so schnell wie möglich nach Hause und meine neue Freundin Sheena am liebsten mitnehmen. Ihre Mutter gehörte zum engeren Kreis des Gurus. Abends ließ sie sich vor Publikum durch Gesänge und Tänze in Ekstase versetzen, um dann das dritte Auge vom Meister massiert zu bekommen. Sheena langweilte sich schrecklich im Aschram und beklagte, dass ihre Mutter nie Zeit hatte, weil sie sich den ganzen Tag selbst verwirklichte. Zurück in Deutschland war meine größte Angst, die orangefarbenen Klamotten in die Schule anziehen zu müssen, wo ich doch schon alles getan hatte, um unseren Indienausflug zu verheimlichen. Mal abgesehen davon, dass mir Orange überhaupt nicht stand und Markenklamotten angesagt waren. Zum Glück waren meine Eltern letztlich

Weitere Kostenlose Bücher