Flaschendrehen: Roman (German Edition)
genervt, aber auch nicht begeistert, eher neutral. Er scheint sie so zu nehmen, wie sie ist, was heißt, dass er mehr Geduld als der Dalai-Lama haben muss. Auf alle Fälle schaffte es die kleine Michi, Dianes Logorrhö zu stoppen und die Unterhaltung aufs Thema Reisen zu lenken. Es stellte sich heraus, dass Clemens Indienfan ist, dort einige Monate gelebt hat und regelmäßig hinfliegt.«
Ja, Indien war bestimmt toll, wenn man nicht wie ich Eltern hatte, die einem Indien mit ’nem unfreiwilligen Aschram-Aufenthalt versauten.
Sarah fuhr gut gelaunt fort:
»Da habe ich einfach behauptet, dass ich total gut indisch kochen kann, und ihn für nächste Woche eingeladen. Du kommst natürlich auch, er ist ganz gespannt auf deine Indienfotos.«
Auf einen Schlag war ich hysterisch. Mir schwante Übles!
»Sag nicht, du hast ihm von meinem Aschram-Besuch erzählt!«
Sarah wusste, dass ich es hasste, von der Bhagwan-Vergangenheit meiner Eltern oder dem Aufenthalt in Poona zu erzählen.
Sie versuchte mich zu beruhigen.
»Wie war das? Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt! Außerdem musste ich doch der oberflächlichen Kuh Diane was entgegensetzen, und die Aschram-Geschichte ist immer der Knüller! Zumal Clemens das sehr spannend fand und sofort zugesagt hat!«
Super! Ich war bis auf die Knochen blamiert, durfte mal wieder in meiner Zirkusrolle als Exotin auftreten, die dank ihrer durchgeknallten Eltern total irre aufgewachsen war. Dabei versuchte ich, seit ich von zu Hause ausgezogen war, nichts anderes, als ein stinknormales Leben zu führen. Sarah hatte schon öfter todlangweilige Abende mit Aschram-Geschichten gerettet, mal wieder getreu dem Motto »Better lose a friend than a joke«.
Aber Clemens, ausgerechnet Clemens davon zu erzählen, wo sie wusste, wie sehr ich das hasste!
»Sarah, wenn dein eigenes Leben nicht spannend genug ist, um Männer einzuladen, erfinde von mir aus, was du willst, aber halte mich da raus, und mach mich nicht zur Schaubudenfigur!« Ich war sauer! Stinksauer!
Sarah hatte mit einer so heftigen Reaktion meinerseits nicht gerechnet und war leicht zerknirscht, was mir wiederum Leid tat, weil ich sie eigentlich gerade hinterging, was ja wohl viel schwerer wog als eine alberne Anekdote aus meiner Teenagerzeit.
Schnell lenkte ich ein und versprach, entweder nachzukommen oder mich später mit ihr auf einen Kaffee zu treffen. Kaum hatte ich aufgelegt, stieg das Glücksgefühl wieder in mir hoch. Clemens hatte mich geküsst, und ich war kurz davor zu platzen, wenn ich es nicht endlich jemandem sagen, der ganzen Welt entgegenschreien konnte.
Ich rief Rudi an.
»Gretchen, du bist …«
Ohne ihn aussprechen zu lassen, unterbrach ich ihn und rief überschwänglich:
»Ich bin die glücklichste Frau in Berlin! Clemens hat mich gestern geküsst! Aber sag es bitte niemandem. Ich muss es erst Sarah beichten, die weiß nämlich noch nichts!«
Rudi antwortete nicht gleich, und ich dachte schon, die Verbindung sei abgebrochen, aber dann antwortete er zögerlich:
»Äh, das ist jetzt leider zu spät, denn was ich dir zu Beginn sagen wollte, war, dass ich im Auto sitze und ich auf Lautsprecher gestellt habe! Ben ist bei mir.«
Natürlich war Ben bei ihm, und natürlich passierte das mal wieder mir, weil ich immer vorschnell war und nicht mal eine Sekunde meinen Bruder aussprechen lassen konnte. Wie peinlich! Und ausgerechnet vor Ben! Rudi versprach, sich später noch mal zu melden, und versicherte mir, dass er und Ben dichthalten würden.
Nach diesem Schreck beschloss ich aufzustehen. Mühsam zog ich meine Lieblingsjeans über, die ich kaum zugeknöpft bekam. Toll, durch den Arbeitsstress, das lange Sitzen am Schreibtisch und null Bewegung hatte ich mindestens drei Kilo zugenommen. Die mussten wieder runter, und zwar schleunigst! Bis Montag wollte ich ’nen flachen Bauch haben, man wusste ja nie, wann man sich näher kam und nackt präsentieren musste, also fasten oder noch besser die Kohlsuppen-Diät. So ziemlich jede meiner Freundinnen schwor auf die Kohlsuppen-Diät. Bisher hatte ich sie nicht nötig gehabt, aber wenn es darum ging, einen Mann wie Clemens zu betören, musste ich wohl oder übel zu härteren Mitteln greifen.
Schnell googelte ich mir die Kohlsuppendiät, druckte mir die Zutaten aus und beschloss einkaufen zu gehen.
Auf dem Weg in den Supermarkt überlegte ich, ob ich Clemens’ Kuss Sarah wirklich beichten sollte? Und überhaupt Clemens! Weshalb hüllte der sich eigentlich in
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