Flaschendrehen: Roman (German Edition)
was sind schon Regeln? Wenn ich erst mit Clemens offiziell zusammen war, würde ich mir eben einen anderen Job suchen. Einen neuen guten Job fand ich leichter als einen neuen guten Mann.
So war ich noch nie durch den Wind gewesen wegen eines Mannes, na gut, wegen Ben vielleicht, aber das zählte nicht, denn als Teenie hat man erwiesenermaßen einen so absurd verwirrten Hormonspiegel, dass man sich auch in eine Straßenlaterne verlieben könnte, wenn die einem zuzwinkert. Und meine anderen Exfreunde waren Langweiler gewesen, wie Sarah es nennen würde. Kein Wunder, Aufregung und abnormes Familienleben hatte ich genug erlebt, deshalb konnte der bodenständige Typ mit Bausparvertrag eher bei mir punkten als der wilde, unkonventionelle Mann. Meine Eltern hingegen wünschten sich einen Künstler für mich: am besten einen Schriftsteller oder Maler, der besessen Farben mischte und vor lauter Besessenheit vergaß zu schlafen und zu essen. Natürlich hatten sie von der Sorte brotloser Künstler kurz vor dem Durchbruch genug im Freundeskreis und beherbergten regelmäßig das ein oder andere »Genie«, das vor lauter Kunst nicht dazu gekommen war, die Miete zu zahlen, und natürlich nur übergangsweise eine Bleibe suchte. »Übergangsweise« ging dann meistens in die Verlängerung, bis meine Mutter eine neue Wohnung für das Genie aufgetrieben hatte und ihren Ruf, der ihr selbstverständlich gleichgültig war, aufs Spiel setzte. Ich weiß nicht, für wie viele ihrer Freunde sie schon gebürgt oder die Miete übernommen hatte, damit sich diese Künstler nicht um diese profanen weltlichen Dinge kümmern mussten.
Die Kohlsuppe roch nicht besonders gut, hoffentlich schmeckte sie besser!
Gerade wollte ich einen Löffel versuchen, als das Telefon klingelte.
Clemens! Es musste Clemens sein! Jetzt nur nicht panisch werden und ja nicht zu schnell abheben. Eins, zwei, drei, meins!
»Hallo?«
Stille.
»Hallo? Wer spricht denn da? Hier ist Gretchen.«
Komm, Clemens, trau dich!
»Ich weiß, wieso klingst du denn so affektiert? Für ’nen Moment dachte ich, es sei jemand anderes dran.«
Meine Mutter. Ich versuchte, meine Enttäuschung zu verbergen, was nicht sonderlich schwer war, denn meine Mutter, die eigentlich sonst übers Telefon schon hören konnte, wenn mir ein Pickel am Kinn wuchs, war in Rage und brauchte mich, um Dampf abzulassen. Es ging wie immer um ihre Eltern, meine Großeltern oder »die Klassenfeinde«.
»Stell dir vor! Ich bekomme heute Morgen die Post, öffne sie nichts ahnend und finde ein Schreiben des hiesigen Golfclubs, der sich freut, mich als neues Mitglied begrüßen zu dürfen! Ich rufe natürlich sofort an und versuche, das Missverständnis aufzuklären. Stattdessen versichert man mir, dass das alles seine Richtigkeit habe, der Jahresbeitrag in Höhe von zwanzigtausend Euro auch schon beglichen sei! War ja nicht schwer zu erraten, wer dahinter steckt! Also rufe ich deinen Großvater an, der nicht mal versucht zu leugnen. Er habe nur an meine Zukunft gedacht, und auch in meinem Alter sei es noch nicht zu spät, einen soliden Partner zu finden! Schließlich hätte ich mich doch ganz gut gehalten!«
Ich musste mir das Lachen verkneifen. Es war kein Geheimnis, dass mein Vater und mein Großvater sich nicht ausstehen konnten. Aufgeregt fuhr sie fort:
»Mir blieb die Luft weg! Vater, ich bin seit über dreißig Jahren verheiratet! Wann begreifst du das endlich? Weißt du, was er da antwortet? ›Das begreife ich dann, wenn du einen Ehering trägst, auf einem deutschen Standesamt heiratest und einen anderen Nachnamen als ich hast!‹«
Ha, ha, ha! Da war es wieder! Mein Großvater tat nichts lieber, als auf das in Deutschland ungültige Papua-Neuguinea-Hochzeitszeremoniell hinzuweisen. Leider konnte ich diese Art von Streit nicht mehr ernst nehmen, zu oft war ich schon Zeuge gewesen. Am Ende rauften sie sich wieder zähneknirschend zusammen, natürlich nur der Kinder wegen. Was Rudi und ich schon als Alibi oder Druckmittel hatten herhalten müssen, ging auf keine Kuhhaut.
»Mama, jetzt reg dich nicht auf! Du musst Opa so nehmen, wie er ist, bei anderen hast du doch auch kein Problem damit. Lass dir das Geld auszahlen und spende es oder verwende es für eines deiner Projekte.«
Mein Vorschlag war ihr bestimmt zu pragmatisch, denn am Ende ging es immer auch ums Prinzip.
»Hm, gar keine schlechte Idee. Frank könnte das Geld gerade gut für seine Jugendgruppe brauchen. Ich denk darüber nach.«
Oh, oh!
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