Flaschendrehen: Roman (German Edition)
gesellschaftliche Bekannte, und zweitens war Diane bestimmt nicht so dumm, sich zusätzliche Konkurrenz herzubestellen. Auch Michi wollte kein Risiko eingehen.
Beide murmelten unisono: »Nee, das ist zu kurzfristig. Die sind bestimmt schon alle unterwegs und anderweitig verplant.«
»Na, dann bleibt es bei unserer kleinen, feinen Runde. Was möchtet ihr denn trinken?«
Clemens machte der überaus attraktiven Bardame Bella ein Zeichen. Bella war eine Institution im Café Petersburg, ach, was sag ich, im Berliner Nachtleben. Es gab genug Männer, die nur wegen ihr herkamen, und in fast jeder Ausgabe der üblichen Stadtmagazine war ein Bild von ihr mit Prominenz abgelichtet. Das Einzige, was Bella nie machte, war bedienen. Wer ’nen Drink wollte, musste an die Bar und ihn sich holen. Aber selbst an der Bar nahm sie sich das Recht heraus, nur zu bedienen, wer ihr passte.
Und da geschah das Wunder von Berlin. Genau genommen, gleich zwei!
Wunder Nummer eins: Bella lächelte!
Wunder Nummer zwei: Sie bewegte sich hinter der Bar hervor und kam auf uns zu.
Ich hatte nie zuvor ihre Zähne oder Beine gesehen, beides konnte sich durchaus sehen lassen.
»Hallo, Clemens. Schön, dass du mal wieder da bist. Ich hab dich schon vermisst!«
Eine Welt brach zusammen. Bella, Ikone der coolen, mürrischen Nachtschattengewächse, war eine von uns! Sie konnte lächeln und jemanden vermissen. Gut, es handelte sich um Clemens und nicht um irgendjemanden …
»Die letzte Zeit waren wir mit der Umgestaltung der Phosphor beschäftigt. Das sind meine neuen unschlagbaren Redakteurinnen Gretchen, Diane und Michi.«
Ha, er hatte mich zuerst genannt!
»Wir sind drei Engel für Clemens!«, kicherte Michi schon angesäuselt. Kein Wunder, bei dem kleinen Körper reichte ’ne Kindercola für ’nen ordentlichen Rausch.
Bella hatte sich zumindest uns gegenüber wieder gefangen, zog die Augenbrauen hoch, blickte auf Sarah und fragte: »Und wer bist du? Der Reserve-Engel?«
Sarah lachte.
»Nee, nur Freundin.«
Bella, die dachte, »Freundin« würde sich auf Clemens beziehen, war offensichtlich geschockt, bis sich das Missverständnis klärte und sie ihre gesunde Gesichtsfarbe wiederhatte, soweit man von gesund bei einer im Nachtleben verankerten Legende überhaupt sprechen konnte.
Vor lauter Erleichterung fragte sie uns, was wir trinken wollten!
Schnell bestellte ich einen Wodka Tonic, bevor sie es sich anders überlegte. Clemens wollte einen Bourbon. Das passte zu ihm, zeitlos und voller Klasse.
Bella ließ es sich tatsächlich nicht nehmen, uns die Getränke, die auch noch »aufs Haus« gingen, selbst zu bringen.
Langsam wurde mir Clemens’ Wirkung auf Frauen unheimlich. Gut, er sah atemberaubend aus, war brillant und hatte Manieren, ohne spießig zu sein. Sein Charme und herzliches Lachen konnten alles Leiden dieser Welt mit einem Schlag vergessen machen, und seine Hände weckten Fantasien, die fürs Nachmittagsprogramm bestimmt nicht geeignet waren. Vor allem aber behandelte er Frauen mit unglaublicher Aufmerksamkeit, und wenn er mich ansah oder mit mir sprach, gab es nur mich in diesem Moment, und alles andere war unwichtig. Clemens gab einem das Gefühl, besonders zu sein, nur leider schien das nicht nur ich zu empfinden. So unauffällig wie möglich musterte ich unsere Runde, sah, wie Diane ihr garantiert unechtes Dekolletee möglichst wirkungsvoll in Szene setzte und jede Gelegenheit nutzte, um Clemens anzufassen, auch über Sarahs Beine hinweg. Sarah hingegen trumpfte mit ihrem Grips und witzigen Kommentaren auf, und Michi, die schnell erkannt hatte, dass sie zwar nicht mit Dianes Busen mithalten konnte, aber schöne Beine hatte, zupfte ihr Röckchen noch ein Stück höher. Bella, die wandelnde Versuchung, seit es Frauen gab, umsorgte Clemens und achtete darauf, dass es ihm an nichts fehlte. Unsere Praktikantinnen und Volos hatten noch zu viel Respekt, um sich am Treiben zu beteiligen, aber wenn ich in die verträumten, glänzenden Augen der ein oder anderen blickte, wusste ich, was die Stunde geschlagen hatte. Wenn die Venusfalle einen Bruder hatte, war das zweifelsohne Clemens! Und was machte ich? Ich beobachtete regungslos die Szenerie, ohne einzugreifen oder meine Vorzüge auszuspielen. Wenn ich denn wüsste, welche das waren.
Abrupt wurde ich von Diane und Sarah aus meinen Überlegungen gerissen, die sich gerade ein Kopf-an-Kopf-Rennen lieferten, wer Clemens länger berührte. Clemens hatte unüberlegt erzählt, dass er
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