Flaschendrehen: Roman (German Edition)
sie sich deinen Vater als Mann ausgesucht hat.«
Na dann, viel Spaß bei der Familienforschung. Leila war schon zur Küchentür raus, da drehte sie sich noch einmal zu mir um.
»Ach, was ich dir übrigens schon die ganze Zeit sagen wollte. Dein Clemens ist ’ne Wucht! Ich hab ihn ja nur kurz im Treppenhaus kennen gelernt, aber dass der ganze Damenbataillons um den Verstand bringt, glaube ich sofort. Ich glaube, das liegt an seinem Blick. Er sieht einen so interessiert und intensiv an, dass man meint, man sei der erste Mensch, der ihm je begegnet sei. Ich glaube, er kann mit einem Blick in das Innerste anderer Menschen sehen. Und irgendwie hat er mich einen Tick länger angesehen, als es nötig gewesen wäre«, sinnierte sie weiter. Höchste Zeit, Leila wieder ins Wohnzimmer zu schicken.
Bis zum Hauptgang verlief alles extrem ruhig, beängstigend ruhig sogar. Wir würden doch nicht etwa dem Weltfrieden ein Stück näher rücken? Aber nein, planmäßig zur Trüffelpasta war wieder alles beim Alten.
Mein Vater konnte sich natürlich nicht verkneifen zu bemerken, wie überzogen und dekadent die Preise für so ein bisschen Trüffel waren, während es drei Viertel der Weltbevölkerung an Grundnahrungsmitteln fehlte.
»Also mir schmeckt’s!«, giftete mein Großvater zurück und nahm sich als Provokation noch mal nach, bedacht darauf, extra viele Trüffelblättchen auf den Teller zu häufen.
Mein Vater, von jeher cholerischer Natur, trotz Meditation und Rückreisen in vergangene Leben, konterte: »Ja, dein Gewissen wollte ich haben. Hauptsache, uns geht es gut und wir schlagen uns den Bauch voll, während andere Menschen verhungern.«
Der Klassiker, den hatten wir schon lange nicht mehr. Mein Großvater, von einer auf die nächste Sekunde ganz blau im Gesicht vor Aufregung, schoss zurück.
»Das musst du gerade sagen. Hast du jemals mehr dagegen getan, als zu spenden, du scheinheiliger Hippie?«
Er fuchtelte wild mit den Armen und zeigte auf Leila.
»Hier, ihre Eltern dürfen mit dem Finger auf andere zeigen. Nicht du. Anstatt nur Reden zu schwingen, haben ihre Eltern ein armes hungerndes Kind aus Südamerika adoptiert, es in ihr Haus geholt und es großgezogen, wer weiß, was sonst aus dem Mädchen geworden wäre. Man weiß ja, wie sie in Brasilien mit Straßenkindern umspringen. Das nenne ich Nächstenliebe!«
Oh mein Gott! Wo war die Tür? Ich wollte einschreiten, doch Leila war schneller.
»Äh, das ist ja nett gemeint, aber ich bin nicht adoptiert. Mein Vater ist als Diplomat in der brasilianischen Botschaft in Deutschland tätig, und meine Mutter ist Lehrerin an der internationalen Schule.«
»Was?« So schnell hatte ich meinen Großvater noch nie seinen Kopf bewegen sehen.
Ben musste sich das Lachen verkneifen und flüchtete in die Küche, Rudi hinterher. Meine Mutter sah sich wieder einmal darin bestätigt, wie erzkonservativ und reaktionär ihre Eltern waren, und legte nun ihrerseits los. Zwischendrin entschuldigte sie sich nach jedem Satz bei Leila für das unmögliche und taktlose Verhalten ihrer Eltern und versuchte vorsichtig herauszuhören, ob Leila öfter in Deutschland mit dieser Art Vorurteil und Anfeindungen leben müsse. Den Blick kannte ich. Sie suchte nach traumatisierten Frauen, die sie unter ihre Fittiche nehmen konnte.
Mein Handy klingelte. Clemens!
Schnell ging ich ins Schlafzimmer, um ungestört sprechen zu können. Bevor er etwas sagen konnte, legte ich los.
»Hol mich hier raus. Es ist mal wieder die Hölle! Gerade beleidigen sie alle Leila, jeder auf seine Weise, und wir sind noch nicht mal beim Nachtisch!«
Clemens lachte sein unverwechselbares, leicht raues Lachen. Es tat so gut, seine Stimme zu hören.
»Wenn ich es richtig interpretiere, habt ihr Spaß, oder? Sag, ich versteh nicht, wie man mit Eva in Streit geraten kann. Sie hat so viel Verständnis.«
Clemens hatte sie ja auch erst einmal getroffen und wusste noch nicht, dass meine Mutter für alle und jeden, nur nicht für ihre eigenen Eltern Verständnis aufbrachte. Nicht, dass ich von ihr verlangte, verstaubte Ansichten zu akzeptieren, aber sich einmal zurückzuhalten um des lieben Friedens willen wäre eine willkommene Abwechslung.
»Abgesehen vom Familienzwist, vermisst du mich schon? Also, ich denke die ganze Zeit an dich und bin völlig abwesend. Wir sehen uns aber Sonntagabend, wenn ich wieder da bin und deine Familie weg ist?«
Wieso wusste Clemens immer genau das Richtige zu sagen? Ein Anruf, ein Lachen
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