Flaschendrehen: Roman (German Edition)
nach!«
Wie gesagt, sie abzufüllen war die einzige Möglichkeit, die Situation zu entschärfen, denn zum Glück wirkte sich der Alkohol bei allen gleich aus. Sie wurden müde, und ihre Reaktionen verlangsamten sich, was die Aggressivität aus den Gesprächen nahm, und Streit in Zeitlupe war schon lustig.
Ben legte seinen Motorradhelm ab.
»Mach ich gleich. Schau mal, ich hab dir was mitgebracht.«
Wie aufmerksam, ob da das schlechte Gewissen nachgeholfen hatte?
Ich riss das Geschenkpapier auf. Es war In the mood for love , einer meiner Lieblingsfilme von Wong Kar-wai. Obwohl Filme meine Leidenschaft waren, besaß ich kaum DVD s, was daran lag, dass ich nur wenige Filme mehrmals schauen wollte.
Aber In the mood for love gehörte dazu, den hätte ich mir bald selbst gekauft.
»Danke! Woher wusstest du, dass ich den Film mag und noch nicht habe?«, freute ich mich.
Ben grinste.
»Hast du dich noch nie gefragt, wer eigentlich deine Filmrezensionen liest? Also, ich bin das, und von daher weiß ich, dass du den Film magst. Ich übrigens auch. Und dass du den Film noch nicht hast, lässt sich ja einfach rausfinden. Ich will nicht zu viel verraten, aber du solltest vorsichtig sein. Es gibt da undichte Stellen in deinem Umfeld.«
Ja, Ben konnte charmant und nett sein, wenn er wollte.
»Leute, wir brauchen Nachschub, wo sind die Flaschen, und wo bleibt Leila? Wir sollten mit dem Essen anfangen, da sind sie eine Zeit lang abgelenkt.«
Rudi wirkte unlocker, was sehr selten vorkam. Bestimmt hatte mein Großvater wieder das Bindungsthema aufgegriffen und Rudi nach einer festen Freundin gefragt.
»Rudi, geh einfach runter und hol Leila. Ben, kannst du mir bitte helfen, den Salat zu servieren?«
Mit Salattellern balancierend machten wir uns auf in die Höhle der Löwen. Fast gleichzeitig kam Rudi mit Leila dazu. Sie sah mal wieder umwerfend aus, mit ihren schwarzen langen Haaren, der getönten glatten Haut und den strahlend weißen Zähnen.
Meine Großeltern schienen ebenfalls von ihrer Erscheinung angetan zu sein und lächelten freundlich.
»Sie kommen Brasilien, ja? Gefällt Deutschland?«
Meine Großmutter, die in ihrem Leben ganz im Gegensatz zu meiner Mutter kaum in Berührung mit anderen Kulturen gekommen war, ausgenommen ihr Personal, nahm einfach an, dass jeder, der anders aussah, kein Deutsch verstand oder zumindest nur rudimentär. Nur so war zu erklären, weshalb sie gebrochen und langsam sprach und jedes Wort so betont formte, als ob Leila Lippenleserin sei.
Leila war zu souverän, um sich darüber aufzuregen. Sie lächelte freundlich zurück und antwortete in schönstem Hochdeutsch.
»Ja, ich bin zwar in Brasilien geboren, aber nach Deutschland gekommen, als ich zwei Jahre alt war.«
Meine Großmutter, wie immer tadellos und elegant gekleidet mit silberner Föhnwelle, wusste Leila offensichtlich nicht einzuordnen.
»Sie sprechen ja sehr gut deutsch? Man hört gar keinen Akzent. Und arbeiten Sie auch?«
Mir wurde die Fragerei unangenehm.
Leila hingegen schien diese Art Interesse gewöhnt zu sein.
»Ja, ich habe Modedesign studiert und arbeite seit einigen Jahren in meinem eigenen Geschäft als Designerin.«
Das klirrende Geräusch war das einstürzende Weltbild meiner Großmutter, der es zwar an materiellen Dingen nie gefehlt hatte, aber die man nun auch nicht als aufgeschlossene Kosmopolitin bezeichnen konnte.
In ihrer Welt arbeitete Leila als Zimmermädchen oder hielt sich illegal im Land auf.
»Wie war der Salat? Jetzt gibt es Suppe«, versuchte ich, die peinliche Fragerei zu beenden, doch so schnell gab meine Großmutter nicht auf.
»Das ist ja interessant. Schneidern Sie dann Sambakostüme?«
Immerhin siezte sie Leila.
»Nein, ich entwerfe meine eigene Kollektion und lasse schneidern. Wenn Sie mögen, zeige ich Ihnen meine neue Kollektion. Ich habe unten einen Katalog.«
Leila war wirklich durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Diese Gelassenheit.
»Aber Seide verwenden Sie dann bestimmt viel, oder?«, überlegte meine Großmutter, die hoffte, dass sich wenigstens ein Klischee bewahrheiten würde.
Bevor Leila antworten musste, zog ich sie mit in die Küche.
Zum Glück war sie amüsiert und kein bisschen beleidigt.
»Du weißt, du bist freiwillig hier und kannst jederzeit gehen«, bot ich ihr an.
Doch Leila dachte gar nicht daran.
»Spinnst du, jetzt, wo es spannend wird? Ich finde es super interessant. Mir ist sofort klar geworden, weshalb deine Mutter ist, wie sie ist, und wieso
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