Flaschendrehen: Roman (German Edition)
Therapeuten. Bis wir mit systemischer Familientherapie, Stühlerücken und was man da noch so alles machen konnte, fertig wären, hätten wir dem Psychologen sein Haus, Urlaub und Praxisräume abbezahlt.
Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass ich gerade mit Clemens gesprochen hatte und mich so glücklich fühlte und mir dieses Gefühl nicht verderben lassen wollte, oder ob einfach eine Grenze erreicht war, aber ich hatte endgültig genug.
Mit einer Bestimmtheit in der Stimme, die ich mir selbst nicht zugetraut hätte, unterbrach ich meinen Großvater, der gerade zum »Wie konntest du nur diesen Mann heiraten« ansetzen wollte.
»So, jetzt ist Schluss! Das ist meine Wohnung, ich hab den ganzen Tag nichts anderes gemacht als einzukaufen und euch ein Vier-Gänge-Menü zu kochen – und zum Dank darf ich mir eure albernen Streitereien anhören und muss mich vor meinen Freunden schämen! Seit wie viel Jahren kennt ihr euch jetzt? Ihr wisst, dass ihr in so ziemlich allem anderer Meinung seid und das auch immer bleiben werdet. So, und ab jetzt werden wir uns das Rumgekeife sparen, zumindest so lange ihr bei mir seid. Wenn noch einer anfängt zu streiten oder zu provozieren, fliegt ihr alle raus. Sprecht von mir aus über Blumen oder das Wetter, aber der Erste, der Streit anzettelt, den setze ich vor die Tür!«
Stille! Alle inklusive Ben und Leila schauten mich erstaunt an. Anscheinend war ich überzeugend gewesen, denn plötzlich verhielten sich alle kleinlaut und murmelten leise, ob sie bitte noch mal die Himbeersauce haben könnten, das Essen schmecke ja ausgezeichnet, und andere belanglose Dinge. Keiner von ihnen wagte, mir in die Augen zu blicken. Wow, ich konnte wohl richtig Autorität verströmen, das war eine neue Erfahrung.
Alle halfen anstandslos, das Geschirr abzutragen, und mein Großvater stellte seine Schale sogar direkt in die Spülmaschine, jawohl, er betrat die Küche, wo sich sonst seiner Meinung nach doch nur Frauen aufhalten sollten.
Ein bisschen ungewohnt und gezwungen war diese neue Harmonie, vor allem der betont höfliche Umgang – »Nach dir«, »Nein, nach dir« – wirkte sehr gestellt. Einmal noch wäre fast ein Streit entfacht, als meine Mutter erzählte, dass sie am nächsten Morgen auf die Esoterikmesse ging, während mein Vater seine Schamanenstunden besuchte. Mein Großvater wollte schon allein aus Gewohnheit etwas dagegen sagen, aber ein Räusperer und ein scharfer Blick von mir ließen ihn sofort verstummen. Ich war derart stolz, dass ich beschloss, falls es nichts mehr werden sollte mit der Karriere in den Medien, mich sofort als UN -Botschafterin für Krisengebiete zu bewerben.
Ben und Leila schienen eher enttäuscht ob der neuen Wendung, fast gelangweilt. Leila gähnte sogar kurz, bis Rudi ihr zuzwinkerte und sie wieder hellwach zurücklächelte.
Um die Stimmung in Gang zu bringen, fuhr ich sämtlichen Alkohol, den ich im Haus hatte, auf. Die Rechnung ging auf. Es dauerte nicht lange, da tranken Leila und mein Großvater Brüderschaft, meine Mutter erzählte Ben, wie ich als kleines Mädchen gewesen war. Mein Vater und Rudi versuchten, sich auf die schönste Frau aller Zeiten zu einigen, wobei Jane Fonda bei meinem Vater hoch im Kurs stand, Rudi sich dagegen überhaupt nicht festlegen konnte und von Kate Moss über Audrey Hepburn bis hin zu Cameron Diaz eigentlich alle toll fand. Meine Großmutter sang »Do, do the Voodoo, that you do so well« . Sie sang immer nur diese eine Zeile, den Rest des Textes hatte sie anscheinend schon vor langer Zeit vergessen, und ich räumte selig die Küche auf. Gegen eins war Ende, meine Eltern torkelten ins Gästezimmer, meinen Großeltern rief ich ein Taxi, das sie zum Adlon brachte, und Rudi begleitete sehr rührend und bestimmt nicht ohne Hintergedanken Leila ein Stockwerk nach unten.
Ben nahm seinen Helm in die Hand, er fuhr bestimmt noch zu Liv, und wollte sich verabschieden.
»Du willst doch in deinem Zustand nicht Motorrad fahren. Da kannst du auch gleich hier vom Balkon springen!«, warf ich energisch ein.
Ben sah sichtlich betrunken ein, dass das keine gute Idee war.
»Ich nehm mir ein Taxi, versprochen!«
Versprechen von Betrunkenen waren so eine Sache. Sicherheitshalber nahm ich ihm den Schlüssel ab. Ben kam näher und umarmte mich.
»Gute Nacht und danke. Das Essen war wirklich lecker!«
Er umarmte mich immer noch und drückte mich langsam immer fester an sich, ohne etwas zu sagen. Er sah mich an, und mein Atem ging ungewollt
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