Flavia de Luce Halunken Tod und Teufel
mit ihren Fähigkeiten beeindruckt hatte, war es nicht weiter überraschend, dass Porcelain im Schlaf die grässliche Mrs Bull heraufbeschworen hatte.
»So einen Traum hab ich noch nie zuvor gehabt«, sagte Porcelain. »Und ich hätte gern darauf verzichtet!«
»Wieso?«
»Weil er so echt war, gar nicht wie ein Traum. Ich war auf Fenellas Bett eingeschlafen, hatte mich nicht mal ausgezogen. Irgendwann hat mich ein Geräusch geweckt … drinnen im Wohnwagen …«
»Du hast geträumt, du wärst eingeschlafen?«
Porcelain nickte. »Das war ja das Unheimliche. Ich hab
mich nicht gerührt und tief geatmet, als würde ich schlafen, wobei ich ja tatsächlich schlief. Herrje – ich weiß nicht, wie ich es erklären soll …«
»Erzähl weiter. Ich weiß schon, was du meinst. Du hast in meinem Bett gelegen und geträumt, du wärst in Fenellas Bett.«
Sie sah mich dankbar an. »Es war ganz still. Ich habe so lange gelauscht, bis ich sicher war, dass keiner im Zimmer ist, und dann hab ich geblinzelt und …«
»Und?«
»Da war ein Gesicht! Ein großes Gesicht … ganz dicht über meinem!«
»O Gott!«
»So dicht dran, dass es ganz verschwommen war. Ich hab leise geächzt, als ob ich gerade träume und den Mund halb aufgemacht …«
Ich konnte nicht umhin, sie zu bewundern. Hoffentlich würde ich im Notfall, und sei es im Traum, auch so viel Geistesgegenwart aufbringen.
»Die Lampe brannte nur schwach. Nur die Haare waren angeleuchtet.«
»Und die waren rot«, sagte ich.
»Rot, lang und lockig. Und ziemlich zerzaust. Und dann hab ich die Augen richtig aufgemacht …«
»Ja? Erzähl weiter!«
»Und ich hätte doch eigentlich dich sehen müssen – aber ich hab wieder den Mann mit den roten Haaren gesehen. Deswegen bin ich dir auch an die Gurgel gegangen!«
»Wie bitte? Den Mann mit den roten Haaren?«
»Er war furchtbar dreckig, sein Gesicht war ganz schwarz verschmiert. Er sah aus wie ein Landstreicher.«
Es war auf absurde Weise einleuchtend, dass Porcelain im Traum Mrs Bull, die sie anscheinend schon einmal gesehen hatte, in einen rothaarigen Landstreicher verwandelte. Daffy hatte kürzlich ein Buch von Professor Jung gelesen und uns
erklärt, dass Träume nur Symbole seien, die in unserem Unterbewusstsein lauerten.
Normalerweise tat ich Träume und dergleichen als Unsinn ab, aber in letzter Zeit hagelte es geradezu gegenteilige Beispiele.
Zum Beispiel das, was Fenella in ihrer Kristallkugel gesehen hatte – nämlich eine frierende Harriet, die meiner Hilfe bedurfte, um wieder heimzukommen. Fenella hatte zwar hinterher gestanden, Feely und Daffy hätten sie dazu angestiftet, aber die Sache hatte mich trotzdem aufgewühlt, und ich hatte überlegt, ob nicht dieses Eingeständnis der eigentliche Schwindel war.
Dann war da Brookies Geschichte von der Grauen Frau von Buckshaw. Ich war noch zu keinem endgültigen Schluss gekommen, ob er mich mit dieser sogenannten Legende bloß ablenken wollte.
Es war ziemlich anstrengend, dass ständig irgendwelche übernatürlichen Ereignisse meinen gesunden Menschenverstand in Frage stellten.
»Warum hast du mir das nicht schon früher erzählt?«
»Ich weiß auch nicht … Es ist alles so verwirrend. Ich hab dir noch nicht richtig vertraut, und ich wusste, dass du mir auch nicht mehr traust.«
»Ich war mir unsicher wegen deiner Kleider«, erwiderte ich. »Ich habe mich gefragt, warum du sie im Fluss ausgewaschen hast.«
»Das hab ich in deinem Notizbuch gelesen. Du hast gedacht, dass ich vielleicht Fenellas Blut auswaschen wollte.«
»Na ja … ich …«
»Gib’s ruhig zu, Flavia. Du hast gedacht, ich hätte Fenella den Schädel eingeschlagen, weil … weil ich den Wohnwagen erben will oder was auch immer.«
»Hätte doch sein können«, sagte ich lachend, in der Hoffnung, sie anzustecken.
»Es ist vielmehr so«, sie warf ihr Haar zurück, wickelte sich eine Strähne um den Zeigefinger und wickelte sie wieder auf, »dass Frauen unterwegs manchmal in die Verlegenheit kommen, ein paar Sachen auszuwaschen.«
»Ach so«, sagte ich.
»Wenn du mich gleich danach gefragt hättest, hätte ich dir eine Antwort gegeben.«
Auch wenn es mitnichten so gemeint war, wertete ich ihre Bemerkung als Einladung, weitere unverblümte Fragen zu stellen.
»Dann frage ich dich Folgendes: Als der Mann im Wohnwagen sich in deinem Traum über dich beugte, ist dir da noch etwas anderes an ihm aufgefallen außer seinen Haaren?«
Ich glaubte, die Antwort schon zu kennen, aber ich
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