Flavia de Luce Halunken Tod und Teufel
Geistererscheinungen und den unsichtbaren Welten der Chemie.
Ich war froh, dass mir das gute alte Trimethylamid eingefallen war – mein chemischer Freund mit dem Fischgeruch. Vor ein paar Tagen hatte ich ja mit Dogger darüber gesprochen und ein paar Theorien dazu entwickelt, denen ich aber noch nicht hatte nachgehen können.
Jetzt war es an der Zeit, die losen Fäden aufzunehmen und ihnen zu folgen, ungeachtet dessen, wohin sie führen mochten.
»Ich bin müde«, sagte ich und gähnte lautstark.
Fünf Minuten später lagen wir im Bett, und eine von uns beiden versank schon bald in einem tiefen Schlaf.
Ich wartete, bis Porcelain eingeschlafen war, und kroch leise aus dem Bett.
Mitternacht war eben vorbei, als ich meine Zimmertür leise hinter mir schloss und die geschwungene Treppe hinunterschlich.
Ich wusste, dass Dogger in seinem Butlerkabuff für sogenannte »mitternächtliche Notfälle« eine Hochleistungstaschenlampe aufbewahrte, und ich fand sie auch fast auf Anhieb.
Bleibt mir bloß weg mit unzuverlässigen Kerzen, dachte ich verächtlich. Jetzt hatte ich genügend Leuchtkraft zur Verfügung, um die ganze Seebrücke von Brighton anzustrahlen. Hoffentlich reichte das aus.
Im Keller war es kälter, als ich es in Erinnerung hatte. Ich hätte einen Pullover überziehen sollen.
Als ich vor dem höhlenartigen, nicht enden wollenden Gang hinter der letzten Glühbirne stand, knipste ich die Taschenlampe
an. Ein ganzes Stück vor mir konnte ich den Umriss der Sänfte ausmachen. Die Vorstellung, hineinzusteigen und mich in längst vergangene Tage zurückzuversetzen, lockte mich nicht mehr. Ich war froh, als ich unbehelligt daran vorbeimarschiert war.
»Hier gibt’s keine feine Dame«, sagte ich laut.
Der Gang bog leicht nach rechts ab. Da ich mich schon von der Treppe aus rechts gehalten hatte, bewegte ich mich jetzt nach Osten – beziehungsweise nach Südosten, also in Richtung des Visto und des Poseidonbrunnens.
Die Gummistiefelspuren waren gut zu erkennen und nicht mehr von Porcelains und meinen Fußstapfen überlagert. Es gab jedoch mehrere Spurenpaare, wie mir auffiel: drei, die mir entgegenkamen, und zwei, die aus dem Keller hinausstrebten. Wenn es tatsächlich Brookies Spuren waren, hatte er beim ersten Gang einen Kaminbock gestohlen, ihn im zweiten Anlauf zurückgebracht und den anderen mitgenommen, und bei seinem dritten Besuch hatte er das Haus ja über die Terrasse verlassen.
Plötzlich spürte ich einen kräftigen Luftzug. Zum Glück hatte ich die Taschenlampe dabei, denn eine Kerze wäre erloschen.
Der Luftzug trug einen rätselhaft feucht-muffigen Geruch heran, den ich nicht gleich zuordnen konnte, der mich aber an die Becken lange nicht benutzter Toiletten denken ließ: Grünspan mit einer deutlichen Zinknote.
Vor Zink fürchte ich mich nun wirklich nicht, und Grünspan hat mich schon immer interessiert.
Ich ging weiter.
Als ich mit Porcelain hier unten gewesen war, hatte etwas vor uns gerasselt, aber jetzt war es in dem Gang, der immer enger wurde, still wie in einer Grabkammer.
Geradeaus erkannte ich eine offene Tür, hinter der allem Anschein nach ein größerer Raum lag.
Ich ging hinein und stand inmitten von lauter Rohren: verzinkte Rohre, Bleirohre, Eisenrohre, Bronzerohre, Kupferrohre – die Rohre liefen nach oben, nach unten und kreuz und quer und waren mit Krümmern, Winkeln und großen Bolzen miteinander verbunden. Hier und da sah man ein großes Drehventil, das an das Lenkrad eines Automobils erinnerte.
Ich war im Herzstück von Lucius de Luces unterirdischem Wasserwerk gelandet!
Und dann hörte ich es: Ein metallisches Klirren, das im ganzen Raum widerhallte.
Ich gestehe, dass ich zu Tode erschrak.
Da – schon wieder: Klirr!
»Hallo?«, rief ich mit bebender Stimme. »Ist da jemand?«
Ich vernahm einen anderen Laut, der eindeutig von einem Lebewesen herrührte, aber ob es sich um einen Menschen oder um ein Tier handelte, konnte ich nicht ausmachen.
Wenn nun ein Fuchs in den Keller eingedrungen war? Oder ein Dachs?
Ein Fuchs oder ein Dachs würde wahrscheinlich vor mir und meiner Taschenlampe flüchten … oder nicht?
»Hallo?«, rief ich wieder. »Ist da jemand?«
Wieder ein gedämpftes Geräusch, aber schwächer. War es jetzt weiter entfernt, oder bildete ich mir das nur ein? Eines war jedoch sicher: Es konnte nur von der anderen Seite dieses gewaltigen Rohrs kommen, das aus dem Steinboden emporwuchs, dann im rechten Winkel abknickte und weiter zur
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