Flavia de Luce Halunken Tod und Teufel
wurde auf Buckshaw immer außer Sichtweite in einem kleinen Wandschrank in einem schmalen Gang zwischen Küche und Eingangshalle verwahrt. Wie schon gesagt, verabscheute Vater »das Instrument«, und uns allen auf Buckshaw war es verboten, das Ding zu benutzen.
Als ich den kleinen Flur entlangschlich, vernahm ich das Klackern von Absätzen auf dem Fliesenboden der Eingangshalle. Das war höchstwahrscheinlich Vater. Daffys und Feelys Schuhe hatten weichere Sohlen und verursachten sanftere Laute.
Ich verdrückte mich in die Telefonkabine und zog die Tür leise zu. Auf der kleinen Polsterbank konnte ich warten, bis die Gefahr vorüber war.
Die Schritte wurden langsamer – und hielten an. Ich wagte kaum zu atmen.
Nach ungefähr zweieinhalb Ewigkeiten entfernten sich die Schritte in Richtung Westflügel, wo sich Vaters Arbeitszimmer befand.
Ausgerechnet in diesem Augenblick klingelte neben meinem Ellenbogen das Telefon.
Die Schritte machten kehrt. Ich nahm den Hörer ab und drückte ihn an die Brust. Wenn das Klingeln aufhörte, dachte Vater vielleicht, der Anrufer hätte es sich anders überlegt.
»Hallo? Hallo?«, hörte ich eine blecherne Stimme an meinem Schlüsselbein fragen. »Ist da jemand?«
Die Schritte hielten an – und gingen wieder davon. »Hallo?«, rief die gedämpfte Stimme gereizt.
Ich hob den Hörer ans Ohr und zischelte in die Sprechmuschel: »Hier ist Flavia de Luce.«
»Hier ist Wachtmeister Linnet aus Bishop’s Lacey. Inspektor Hewitt hat versucht, Sie zu erreichen.«
»Wie schön, Wachtmeister Linnet«, hauchte ich wie die Schauspielerin Olivia de Havilland, »ich wollte Sie auch gerade anrufen. Bei uns auf Buckshaw ist etwas ganz Schreckliches passiert!«
Nach beendetem Telefonat lief ich wieder in den Garten zu den Rosenbüschen. Porcelain war noch da.
»Schnell!« Ich nahm sie an der Hand und zerrte sie hinter mir her.
Dann trippelten wir auf Zehenspitzen die breite Treppe im Ostflügel hoch.
»Ich werd verrückt«, sagte Porcelain, als sie mein Zimmer sah. »Das ist ja groß wie ein Paradeplatz!«
»Und genauso kalt«, erwiderte ich. »Kriech unter die Decke. Ich hole dir eine Wärmeflasche.«
Ein kurzer Ausflug nach nebenan in mein Labor, fünf Minuten den Bunsenbrenner angestellt, und schon hatte ich einen roten Gummibehälter mit kochendem Wasser gefüllt, den ich unter Porcelains Füße schob.
Dann hob ich meine Matratze an und holte die Schachtel Pralinen hervor, die ich auf der Schwelle der Küchentür gefunden
hatte, wo der Schankkellner Ned immer seine Liebesgaben für Feely abstellte. Da Fräulein Rotznase davon nichts ahnte, konnte sie die Naschereien auch nicht vermissen. Ich musste unbedingt dran denken, Ned bei unserer nächsten Begegnung auszurichten, wie wohlwollend seine Geschenke aufgenommen wurden. Er brauchte ja nicht zu erfahren, von wem.
»Bedien dich.« Ich riss das Zellophan von der Schachtel. »Sind vielleicht nicht mehr die Frischesten, aber es kriechen auch noch keine Maden darin herum.«
Neds Finanzen gestatteten ihm nur den Kauf von Pralinenschachteln, die mindestens ein Vierteljahrhundert im Schaufenster gestanden hatten.
Porcelain hatte sich einen Vanilletrüffel genommen, traute sich jetzt aber nicht mehr, ihn in den Mund zu stecken.
»Iss ruhig«, sagte ich. »Ich hab nur Spaß gemacht.«
Das stimmte zwar nicht ganz, aber wozu die Ärmste unnötig beunruhigen?
Ich ging zum Fenster. Bevor ich die Vorhänge zuzog, schaute ich noch einmal nach draußen. Niemand war zu sehen.
Hinter der Rasenfläche erspähte ich einen Zipfel des Visto und im Süden – Poseidon! Ich hatte völlig vergessen, dass man den Brunnen von meinem Zimmerfenster aus sehen konnte.
Sah man etwa auch …? Ich rieb mir die Augen und schaute noch einmal hin.
Ja! Dort hing Brookie Harewood. Aus der Entfernung sah es aus, als hätte der Meeresgott mit seinem Dreizack eine Vogelscheuche erlegt. Bestimmt konnte ich noch einmal hinlaufen und mich umschauen, bevor die Polizei eintraf. Und falls sie kam, während ich noch dort war, würde ich eben behaupten, ich hätte Brookie bewacht und aufgepasst, dass nichts angefasst würde und so weiter.
»Du siehst ganz erledigt aus«, sagte ich nach hinten zu Porcelain.
Als ich die Vorhänge zuzog, fielen ihr bereits die Augen zu.
»Schlaf gut«, sagte ich noch, aber das hörte sie vermutlich schon nicht mehr.
Als ich die Treppe hinunterstürmte, klingelte es an der Haustür. Mist! Ich zählte bis zehn und öffnete. Im selben
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