Fleckenteufel (German Edition)
Angst.
Es ist bewölkt, aber ziemlich warm. Und windig, drum herrscht ordentlicher Wellengang. Endlich mal wieder schwimmen beziehungsweise sich mit voller Wucht gegen die Brecher schmeißen, das macht eh am meisten Spaß, und außerdem fällt niemandem auf, dass ich trotz DLRG so lausig schwimme.
Mittagessen: Königsberger Klopse ohne Kapern, Salzkartoffeln. Wackelpudding.
Am Nachmittag spielen wir ein besonders dämliches Spiel: Tiefgefrorenes T-Shirt. Der dumme Peter hat am Vorabend ein paar alte T-Shirts in die Tiefkühltruhe getan, und die müssen wir uns jetzt anziehen. Nur wer will. Freiwillige vor. Ich bin kein Freiwilliger. Wo haben die nur die ganzen Spiele her? Das ist vielleicht für Zehnjährige lustig, überhaupt stehen neben Fußball, Völkerball und Rallyes praktisch nur Kinderspiele auf dem Programm. Negerkusswettessen. Mehlspiele. Kartoffelspiele. Da lachen doch die Hühner, und noch nicht mal die.
Abendandacht von Wolfram Steiß: Selbstmitleid, nein danke: Man soll sich als Christ nicht dauernd so wichtig nehmen, gerade in Deutschland, wo es allen doch sehr gut geht. Gott sieht das gar nicht gerne, weil er uns das Leben und die Welt geschenkt hat, laberlaber.
Nach dem Spieleabend zu den Weibern. Lange dauert’s nicht, dann lässt sich Susanne von Heiko küssen, mit Zunge und allem. Karin wird von Tag zu Tag hässlicher, die Arme. Die Idee mit Ina obenrum und Andreas untenrum finde ich immer interessanter, um nicht zu sagen genial. Da könnte man was daraus machen, ein Geschäft, ich weiß bloß noch nicht, wie und welches. Geil sind irgendwie auch Petras riesige Nasenlöcher. Ihre Eltern haben die Nase bestimmt nachts jahrelang mit einer Wäscheklammer fixiert, um sie unten enger zu machen. Die Wäscheklammer ist die Zahnklammer der Nase, fällt mir ein. Haha.
Heiko und Roland geben richtig Gas. Morgen wird die Ernte eingefahren, denn morgen ist Samstag, und nach dem Abendbrot ist statt ewig Karten kloppen Partyabend angesagt. Discoabend, Fetenabend, Engtanzabend. Anschließend, so der Cliquenplan, wird Apfelkorn und Persico gesoffen. Danach alle Mann besoffen ins Vogelschutzgebiet, Schweinereien machen. Stelle ich mir jedenfalls so vor. Karin darf Schmiere stehen. Wolfram Steiß umarmt sie von hinten, seine lüsternen Hände tasten in den Falten ihres feisten Bauches umher, Karin lässt es wortlos geschehen.
Träume sind Schäume. Mein Status als öder, stummer Zwerg ist zementiert, ich bin ein kleines Äffche, das geduldet wird, weil wir eine christliche Gemeinschaft sind. Wenn die wüssten, was sich im Kopf vom Äffche so alles abspielt, da komms gar nich drauf! Nachdem Wolfram Steiß zu Ende gegrabbelt hat, stellt er Karin auf den Kopf. Während ich mir das vorstelle, schaue ich sie freundlich an. Sie bemerkt es und lächelt. Ich lächle zurück, was soll ich tun. Meine Güte, ist das trostlos. Um eins geht’s wieder zurück.
Ich muschel mich in den Schlafsack und lese mit Hilfe der Taschenlampe die letzten Seiten von Aufzeichnungen eines Außenseiters. Genial. Warum gibt es in Deutschland keinen, der auch nur so ähnlich schreibt? Für eine solche Schreibe muss es doch Bedarf geben, außerdem hat Tiedemann gesagt, dass Bukowski gerade in Deutschland total beliebt ist. Deutschland: Grass, Lenz, Böll, Mann. Alles Scheiße.
Schneeflöckchen, Weißröckchen, wann kommst du geschneit.
REISE, REISE!
Herr Schrader sieht gar nicht gut aus. Er atmet schwer, seine Augen sind blutunterlaufen. Und fett ist er vielleicht. Schrader ist zusammengesetzt aus Sauf- und Kummerspeck, beides sehr bösartige Specksorten. Genuss- und Langeweilespeck sind gutartige Specksorten. Reime ich mir so zusammen, vielleicht ist es ja auch Quatsch, wie immer.
Morgenandacht (Peter Edam): Gott spricht überall mit den Menschen, auch durch den Fernseher und das Radio. Man muss nur gut aufpassen und hinhören, Gottes Wort ist allgegenwärtig. Schrader sieht aus, als könne er sich kaum noch auf den Beinen halten, sterbenskrank und zu Tode gepredigt, ein Wahnsinn schon wieder alles.
Das Wetter ist wie gestern, die Ostsee gibt sich aufgewühlt, meterhohe Brecher, herrlich. Trotz Formschwäche lässt sich Schrader seinen Auftritt nicht nehmen:
«Weißu was?»
«Nee. Wie? Was denn?»
«Ich mein, wenn dir schlecht ist?»
«Versteh ich nicht. Was soll denn da sein.»
«Vorbeugen ist besser als auf die Schuhe kotzen.»
«Haha.»
Fiedlers sitzen auf der rechten Bank, die Körper steif und fett und wächsern. Sie
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