Fledermaeuse und andere Leute
den Arm und lässt sich unterwegs von allen Trost spenden: von der netten Nachbarin, die ihm einen Euro schenkt, damit er eine Kerze »für unter Antons Bild« kaufen kann, dem Kioskbesitzer mit den Kerzen, der ihm Beileid wünschend eine Wundertüte überreicht, dem Mann an der Tankstelle, wo die Mama immer ihr Benzin für das Auto holt, der ihm mit einem Minilaster über den schweren Verlust hinweghelfen will, dem Besitzer des Eiscafés und allen Gästen, die ihn fragen, warum er denn so traurig sei.
Max zeigt nicht nur Halsband und Bild, sondern erzählt auch trauerumflort, dass es jetzt nicht mehr so viel Spaß mache, zur Omi zu fahren, weil der Anton nun nicht mehr vor Freude kläffend an ihm hochspringt, wenn er kommt. Bloß die Frieda, »aber das gilt nicht, die is’ nämlich noch ein Hundebaby«. Der Anton dagegen wird ihm überall fehlen, am meisten unter den Händen. Da ist niemand mehr, der sich stundenlang kraulen lässt, der abends im Bett am Fußende liegt und sich Mäxchens Geschichten anhört, mit dem man herumtollen und im Wald Abenteuer erleben kann und der ihn gegen alles und jeden verteidigt.
Am nächsten Morgen rufe ich meine Tochter an, um mich zu erkundigen, ob der Junge sich etwas beruhigt hat.
»Das schon«, sagt sie, »aber unser Tag begann trotzdem mit Tränen.«
»Mein Gott«, schlucke ich; denn ich habe ebenfalls ziemlich nahe am Wasser gebaut, »das arme Kerlchen! Mir fehlt der Anton auch an allen Ecken und Enden.«
»Na ja«, antwortet meine Tochter gedehnt. Und dann erzählt sie mir, dass nach der Schule am Nachmittag die erste Weihnachtsfeier für die Erstklässler anstehe. »Und dazu hat sich dein Enkel dringend ein weißes Hemd mit blauer Krawatte gewünscht.«
»Und?« Ich verstehe den Zusammenhang nicht.
»Nun«, sagt seine Mutter, nicht ohne einen Anflug von Galgenhumor in der Stimme, »und da wollte er heute Morgen unbedingt unter dem weißen Hemd und der blauen Krawatte ›dem Anton zum Andenken‹ das rote ›Kuhhalsband‹ anziehen!«
»Du liebes bisschen«, ich kann mir ebenfalls eine gewisse Fröhlichkeit nicht verkneifen, »aber das passt ihm doch überhaupt nicht!«
»Du wirst lachen«, widerspricht mir meine Tochter leicht genervt, »das hatte ich auch gedacht. Doch das Halsband passt ihm wie angegossen. Und damit die Tränen endlich aufhören, lasse ich nun meinen Sohn und deinen einzigen Enkel notgedrungen im weißen Hemd mit blauer Krawatte und einem roten Hundehalsband sein erstes Schulweihnachtsfest feiern! Was sagst denn du dazu?«
»Ihr Kinderlein kommet, oh kommet doch all, und der Max und sein Anton und alle Hunde, die mit ihnen auf der bunten Himmelswiese herumtoben dürfen …«
Die Seebestattung
G uck mal«, sagt Max, der neben mir den steilen Berg ins Dorf hinunterhüpft und mich dabei kein bisschen an der Hand halten muss, »ein Friedhof! Wer liegt denn da begraben?«
Ich erkläre ihm, dass dort alle Leute beerdigt werden, die in unserem Ort gestorben sind.
»Der Dietrich auch?« Dietrich war mein zweiter Mann, der Chemiker aus Westfalen, und leider schon längere Zeit vor Mäxchens Geburt gestorben. Dabei hatte er sich immer ein Enkelkind gewünscht, schon wegen der elektrischen Eisenbahn.
Doch das ist eine andere Geschichte!
»Nee«, antworte ich also, »mein Mann hatte eine Seebestattung.«
»Was ’n das?«
»Na, wir haben den Dietrich in der Ostsee begraben.«
»Waas?« Max ist entsetzt, »habt ihr den etwa mit dem ganzen Sarg ins Wasser geschmissen?«
»Aber wo denkst du hin«, kläre ich ihn auf, »vorher hatte er natürlich eine Feuerbestattung.«
Nun versteht mein Enkel gar nichts mehr, und ich überlege, wie ich ihm kindgerecht und ohne ihm Angst zu machen die verschiedenen Beerdigungsmöglichkeiten erkläre.
»Also«, beginne ich, nachdem wir uns auf dem Friedhofsmäuerchenniedergelassen haben, »nicht alle Menschen wollen nach ihrem Tod ›verbuddelt‹ werden, wie dein Freund Thommy nebenan dir weismachen wollte, als du vier Jahre alt warst.« Und ich erzähle ihm – wie ich hoffe – behutsam und mit viel Pietät, dass es Menschen gibt, die sich vorher lieber verbrennen lassen, wie zum Beispiel mein Mann, damit er in der Ostsee begraben werden konnte.
»Wie verbrennen«, fragt Max interessiert, »alles verbrennen, den Körper, die Haut, die Knochen und so?«
»Ja«, ich nicke, »alles.« Und dann erkläre ich weiter, dass dies nach einer wunderschönen Feier in einer kleinen Kapelle mit vielen Blumen geschieht und
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