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Fledermaeuse und andere Leute

Fledermaeuse und andere Leute

Titel: Fledermaeuse und andere Leute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Helm
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ihn übers Wochenende besuchen. Dannfreut sich Anton sehr, springt wie ein junger Hund an ihm hoch und kläfft, bis er stockheiser ist und Max ihn ausführlich begrüßt hat. Doch so peu à peu fällt es Anton immer schwerer, aus seinem Körbchen herauszukommen. Außerdem verliert er beim Laufen immer häufiger das Gleichgewicht und droht umzukippen.
    Max kommt mit zum Tierarzt. Dort wird sein Dackel untersucht, scheibchenweise geröntgt und mit Infusionen nochmal auf die Beine gebracht. Aber die Diagnose steht fest: Er hat einen Gehirntumor, inoperabel. Und wenn er nicht von alleine einschläft, muss ihn irgendwann der Doktor erlösen. Max weint bitterlich, und der Tierarzt sagt: »Schau mal, dein Anton ist doch jetzt schon einhundertfünf Jahre, umgerechnet in Menschenalter, und hatte ein wunderbares langes Leben. Du willst doch sicher auch nicht, dass er sich nun zum Schluss noch quält.« Nee, das will der Max natürlich nicht. Aber erst einmal dürfen wir Anton wieder mit nach Hause nehmen.
    Sooft er kann, sitzt Max nun an Antons Körbchen, liest ihm vor, streichelt sein Köpfchen, bringt ihm Futter- und Wassernapf, und wenn er mal raus muss, begleitet er seinen Dackel in den Garten, um ihn zu stützen, falls er anfängt zu kippeln. Und dann sitzt er wieder auf dem Fußboden neben Antons Körbchen und hält dessen schmal gewordenes, silbergraues Schnäuzchen behutsam in der Hand.
    »Omi«, Mäxchen ist plötzlich sehr aufgeregt, »Omi, ich habe eine Superidee!«
    »Prima«, sage ich zerstreut, »dann erzähl doch mal.«
    Und dann erinnert er mich an unsere große Diskussion nach meiner Nierenoperation.
    »Kannst du denn mit einer Niere leben?«, hatte Max damals besorgt gefragt, »und was is’, wenn die zweite Niere auch noch raus muss?«
    Ich hatte ihm erklärt, dass er sich darüber keine Gedanken machen solle. »Erstens kann man sehr gut mit einer Niere leben, und zweitens ist die Medizin heute so weit, dass man ganze Organe verpflanzen kann, zum Beispiel eine Niere, eine Leber oder sogar ein neues Herz.«
    »Und die wachsen echt wieder an?« Max fand das sehr interessant, und dann fiel ihm ein, dass er mit der Mama einen Film im Fernsehen gesehen hat, in dem ein Arzt einem kleinen Jungen ein »abbes« Bein angenäht hatte, »und der konnte dann wieder richtig laufen«.
    »Toll«, sage ich, »und was hat das Ganze nun mit deiner Superidee zu tun?«
    »Ja«, sagt er da bedächtig, »wir könnten doch zum Doktor gehen und dem Anton ein neues Gehirn einpflanzen lassen. Dann hätte er vielleicht nochmal hundertfünf wunderbare lange Jahre, umgerechnet in Menschenalter, oder?!«
    Ich erkläre ihm, dass die Medizin ja schon sehr weit sei, »aber ganze Gehirne kann man noch nicht verpflanzen, leider, selbst der beste Tierarzt nicht«.
    Max denkt kurz nach, dann sagt er verstehend: »Du hast Recht Omi, das geht ja auch gar nicht. Dann hätte der Anton nämlich die Gedanken von dem anderen im Kopf.«

Die Erbschaft
    A ntons Tod geht Max nach so vielen gemeinsam verbrachten Jahren mehr zu Herzen als das Ableben seiner Urgroßmutter. Die Urgroßmutter gehörte eben nicht so unabdinglich zu seinem täglichen Leben wie unser Dackel.
    Seine Mutter traut sich gar nicht von Antons Hinscheiden zu berichten. Und so fällt mir diese schwere Aufgabe zu. Telefonisch eine Hiobsbotschaft zu überbringen liegt mir auch nicht. Also setze ich mich hin und schreibe einen liebevollen Brief … Er dürfe ruhig traurig sein und auch weinen; denn er habe ja den besten Freund seiner Kindertage verloren. Aber er solle auch an Anton denken, der nun von all seinen Leiden erlöst sei und sicher jung und unbeschwert mit anderen gestorbenen Artgenossen auf einer bunten Himmelswiese herumtoben und -jagen würde.
    Dazu fertige ich eine Fotocollage von unserem Dackeltier an, die durch alle Stadien seines langen Lebens führt, und rahme sie hübsch ein zum Übers-Bett-Hängen. Dann lege ich noch Antons rotes »Kuhhalsband« dazu.
    Als Max das Päckchen öffnet, bricht er in Tränen aus. Er weiß sofort: Sein Dackel ist in die ewigen Jagdgründe gegangen. Er hält als Erstes seiner Mutter das rote Halsband hin und sagt schluchzend: »Guck mal, was der Anton mir hinterlassen hat!« Sie nimmtihn in den Arm, um ihn zu trösten, und bietet an, zum Italiener zu gehen, um mit einem supertollen Rieseneisbecher Antons Hinscheiden würdig zu betrauern. Max trocknet seine Tränen, steckt sich das Halsband in die Hosentasche, klemmt sich die Dackelcollage unter

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