Flederzeit - Sturz in die Vergangenheit (Historischer Roman): 1 (German Edition)
auf seinen Schuh, der weiß eingestaubt war. „Weißt du, Kleiner, zu meiner Zeit war alles ganz anders. Da gab es noch keine Computer und im Fernsehen keinen Kinderkanal. Wir sind viel draußen herumgerannt, haben Räuber und Gendarm gespielt oder Ball. Keine Fensterscheibe war vor mir sicher, das kann ich dir sagen.“ Matthias lächelte wehmütig. „Das ist etwas, was du nie erlebt hast. Wobei, so schön war die Moralpredigt hinterher auch nicht. Mein Vater war immer furchtbar wütend. Wochenlang gab es kein Taschengeld, bis die Scheibe abbezahlt war. Meist hatte ich zudem auch noch Zimmerarrest.“ In einer hilflosen Geste hob er die Schultern. „Es war wirklich scheußlich. Nur heute, im Rückblick, sieht das alles viel schöner aus.“
So, es war soweit. Er streckte den Rücken durch. Jetzt musste er es sagen. Jetzt gleich, ehe ihn sein Mut verlassen würde. Matthias holte Luft: „Aber was rede ich da. Spielt es etwa eine Rolle, wie es mir gegangen ist? Du bist wichtig. Dass du das eben nicht ...“
„Hallo Onkel Matthias!“
Entsetzt fuhr er herum. Ein kleiner Junge sauste auf ihn zu. Er winkte mit dem, was er in der Hand hielt.
„Ich hab einen Dino für Elias.“
Voller Eifer legte der dreijährige Markus sein Geschenk neben das von Matthias. „Oh wie schön.“ Er piekte mit seinem Finger an den Plastikkreisel. Sich über die Schulter nach hinten wendend, schrie er: „Papa, ich will auch so was haben.“
Matthias, der es für einen Moment in Erwägung gezogen hatte, schnell noch zu fliehen, verwarf den Gedanken sofort wieder. Sie waren schon zu nahe. Er biss die Zähne zusammen und wappnete sich.
„Sieh mal, Mama, wer da ist“, brüllte Markus in unüberhörbar kommunikativer Weise. „Onkel Matthias. Er hat auch ein Geschenk für Elias.“
Dann wandte er sich direkt an ihn, während er nach wie vor auf den Beyblade deutete. „Ist das deins?“
Matthias nickte nur still und verzweifelt. Musste das sein? Ausgerechnet an so einem Tag wie heute? Aber heute hatte er damit rechnen müssen, dass auch Elias' Mutter ...
„Hallo Lida“, grüßte er ernst in Richtung seiner Exfrau, die einen Kinderwagen vor sich herschob. Dem Mann an ihrer Seite nickte er nur knapp zu.
„Oh, Matthias, wie geht’s, alter Kumpel?“ Iven warf ihm einen abschätzenden Blick zu. „Du siehst, na sagen wir mal, abgearbeitet aus.“
Sofort ballte Matthias die Hände. Wie schaffte dieser Mistkerl es nur immer wieder, dass er sich am liebsten mit ihm prügeln würde? Wieso war es für ihn als friedliebenden Menschen eine derart wohlige Vorstellung, Iven so lange mit den Fäusten zu bearbeiten, bis er ihm ein paar Zähne ausgeschlagen hätte? Weil er so demonstrativ gut drauf war? Was der Situation ja nun wirklich nicht angemessen war, heute war schließlich kein Freudentag.
„Schön dich zu sehen“, begrüßte ihn nun auch Lida. Doch im Gegensatz zu ihrem neuen Mann lächelte sie nicht. Auch sie hatte etwas in der Hand, fummelte daran herum und stellte dann eine kleine Spieluhr mit Pferdekarussell auf das Kindergrab. Eine Melodie klimperte und die Pferdchen drehten sich wippend im Kreis. „Alles Liebe, mein Kleiner“, flüsterte sie mit Tränen in der Stimme.
Matthias war, als zerrisse es ihm das Herz. Tränen schossen auch ihm in die Augen. Die Spieluhr spielte das Schlaflied, das Lida und er Elias Abend für Abend vorgesungen hatten.
Fünf Jahre! Soviel Zeit war vergangen, aber Elias' Tod war noch immer so präsent, als wäre der Junge erst gestern gestorben.
Erstickt. Brutal zwang Matthias sich dazu, die volle Wahrheit zu denken. Elias ist erstickt, weil du unachtsam warst. Deine Gedankenlosigkeit war es, die ihn zu den Fledermäusen geschleppt hat und deine Verantwortungslosigkeit, die dich das Spray nicht hat überprüfen lassen, ehe du es eingesteckt hast.
Die Schuld, die er damit auf sich geladen hatte, lastete nach wie vor zentnerschwer auf ihm. Alles hatte er zerstört. Erst Elias' Leben, dann seine Ehe. Er war schuld an all dem Unglück, das über Lida gekommen war. Bis in alle Ewigkeit. Niemals würde das vergehen. Da mochte Lida mit Iven wieder glücklich sein, da mochte sie erneut Kinder bekommen haben. Elias war tot, nur das zählte. Zumindest für ihn.
Für Iven anscheinend nicht. Denn der lächelte und schäkerte demonstrativ mit dem knapp zweijährigen Lukas im Kinderwagen herum. Während Lida und er ...
Verdammt, es gab kein 'Lida und er' mehr. Sie waren geschieden und Lida hatte den
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