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Flegeljahre am Rhein

Flegeljahre am Rhein

Titel: Flegeljahre am Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ruland
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bricht jedes Gespräch, jeder Fluch, jeder Witz, jeder Gesang mitten im Wort ab, und die Klasse schnellt hoch zur Begrüßung. „Setzt euch! Ihr Halunken, was habt ihr wieder angerichtet? Wartet nur, euch kriege ich schon klein!“
    Die Halunken werden es überleben.
    „Was sollen wir nun machen? Ihr sollt etwas haben von eurem Arrest. Stellt euch vor... „ Kilian geht zur Tafel, nimmt ein Stück Kreide. „Stellt euch vor, das hier ist... Nanu, was ist denn mit der Kreide los...?“
    Die Halunken machen ein verlegenes Gesicht. Kilian nimmt ein anderes Stück Kreide.
    „Stellt euch also vor, das hier ist die Sonne... Zum Donnerwetter nochmal, was habt ihr mit der Tafel angefangen...?“
    Die Halunken machen ein sehr verlegenes Gesicht.
    »Das ist ein Irrtum, Herr Studienrat!“, ruft Sauerbrunnen. „Wir haben nicht gewußt, daß Sie die Tafel benutzen wollen. Die Tafel ist nämlich...“
    Die Tafel ist nämlich ganz fein und fast unsichtbar mit Fett eingerieben worden. Sauerbrunnen und Krischan hatten Vorarbeit geleistet für den nächsten Morgen, an dem in der ersten Stunde x 2 seine Mathematikstunde abhält. Und x 2 sollte sich wieder tüchtig aufregen — als „Strafe“ dafür, daß er schon heute mit der Differentialrechnung begonnen hat. Wenn die Tafel mit Fett eingeschmiert ist, nimmt sie keine Kreide an, und x 2 wird sich vergeblich bemühen, seine Hieroglyphen auf die Tafel zu zwingen.
    Sauerbrunnen und Krischan sind schon aufgesprungen, um die Tafel herumzudrehen. Kilian geht dem Fall nicht weiter nach. Die Hauptsache ist, daß er jetzt zeichnen kann.
    „So— nehmen wir an, das hier ist die Sonne...“ Und Kilian zaubert einen halben Kosmos auf die Tafel, erklärt, fragt, läßt Sterne wandern und den Mond untergehen, die Venus verschwinden und den Jupiter allein auf weiter Flur, läßt Welten entstehen und Welten versinken.
    Wenn Kilian spricht, gibt es keine Langeweile. Willi II vergißt sogar seine Noten und fährt mit durch den Weltenraum. Was draußen auf der Straße geschieht, auf die man durch die drei geöffneten Fenster bequem blicken kann, interessiert die Oberprima jetzt nicht. Sonst sieht man schon mal nach draußen, um festzustellen, was es dort gibt.
    Kilian läßt gerade die Kassiopeia einen Abstecher machen, als ein flinker Schritt über das Pflaster klingt. Nanu — den Schritt kennt Gamaschke doch? Er läßt Kilian mit seiner Kassiopeia für einen Augenblick allein und sieht nach draußen. Er kann es ganz unauffällig tun, weil er unmittelbar am Fenster sitzt. Gamaschke lächelt. Sieh da, das kleine Ännchen! Du liebes Ding, du hast vergeblich an der Ecke gewartet. Dein „Bub“ ist böse gewesen und muß noch eine Stunde brummen...
    Gamaschke gibt Ännchen ein Zeichen. Neun Finger...? Sie versteht schon. Um neun Uhr heute abend an der... Aber das geht euch ja gar nichts an! Ännchen tippelt weiter. Tipp, tipp, tipp... Und da ist Gamaschke wieder bei Kilian und mit ihm auf großer Fahrt durch den Weltenraum. Wenn sie nicht so hungrig machte, könnte sie noch stundenlang dauern. Aber Primanermägen lassen nicht gut mit sich reden. Man müßte doch jetzt schon längst gegessen haben.
    Ein zages Klopfen kommt von der Türe.
    Bobby, der gleich an der Türe sitzt, springt auf, öffnet sie.
    Hereinspaziert kommt ein kleines Mädchen, sieben Jahre alt, rotes Schleifchen im Haar, eine Puppe im Arm, geht zu Kilian und sagt keck: „Mutti hat gefragt, ob du noch nicht bald essen kommst. Die Suppe wird ganz kalt, und wir haben alle Hunger. Hat sie gesagt..:“
    Vati legt das Stück Kreide fort, lacht und sieht auf die Uhr.
    „Vati kommt gleich...“
    Hat Vati gesagt.
    Bobby nimmt das kleine Fräulein an der Hand und geleitet es nach draußen.
    Vati hat sich durch das kleine Familienidyll nicht weiter ablenken lassen und ist gleich wieder bei der Sache. Bis... ja, bis daß es schellt. Fize, der Kastellan, hat mit dem Essen auch warten müssen, um das Ende der Stunde zu verkünden. Tithemi verlangt das so. Die elektrische Schelle ist nämlich nur bis ein Uhr tätig. Da nun auch eine Stunde Arrest den dienstlichen Rahmen haben muß, kommt Fize mit der großen Handglocke.
    Um Gottes willen, wenn Tithemi wüßte, daß eben ein kleines Mädchen die Stunde gestört hat!

Die Uhr hat eben zehn geschlagen

    Breit und erhaben zieht der Rhein dahin.
    An seinen Ufern hat er ungezählte Lichter angezündet. Soeben ist der Abend herabgestiegen. Lau und mild. In frühsommerlicher Schönheit. Mit tausend

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