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Flegeljahre am Rhein

Flegeljahre am Rhein

Titel: Flegeljahre am Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ruland
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Wundern. Ein feiner Hauch schwebt über dem Strom. Geflimmer aus Dunst und letztem Licht. Der Mond lugt über den Bergen hervor. Versteckt sich aber wieder, um dem letzten Rot der Sonne, das sich in die Dämmerung hebt, den Zauber nicht zu nehmen.
    Die Schleppzüge liegen vor Anker. Gespenstisch heben sie sich aus dem Wasser. Ruderboote kehren zurück von ihrer Abendfahrt. Still liegt der Rhein und atmet tief und schwer.
    Auf den Bänken der Rheinpromenade von Rheinstadt sitzen Gruppen von Menschen. Irgendwo spielt jemand auf der Mundharmonika. Helles Lachen klingt dazwischen. Das Wasser rauscht. Ein Auto knistert in schneller Fahrt über den Asphalt der Straße.
    In Rheinstadt erwachen am Abend die Straßen zu seltsamem Leben. Durch die Hauptstraße, die zum Rhein führt, zieht ein buntes Band von Menschen her und hin. Laternenschein fällt auf die bunten Giebel der alten Fachwerkhäuser. Junge
    Mädchen, Arm in Arm, suchen ihr kleines Abenteuer. Gymnasiasten, die Zigarette schief im Mund, obwohl das Rauchen auf der Straße verboten ist, ziehen hinter ihnen her und suchen ebenfalls ihr kleines, harmloses Abenteuer. Beide finden es.
    Behäbige Bürger wandeln dahin und suchen ihre Ruhe und ihr Bier. Sie finden beides. Junge Burschen schlacksen über die Straße und suchen Musik und suchen Wein und suchen ein herziges Mädchen vom Rhein. Sie finden alles.
    Einige Magister vom Gymnasium zu Rheinstadt sind auf den Beinen und suchen die Schandtaten ihrer Schüler. Wenn sie helle sind, finden sie die eine oder andere. Besorgte Mütter wollen sehen, wo ihre Töchter stecken. Sie werden sie wahrscheinlich nicht finden.
    Die Gymnasiasten müßten ja längst im Bett liegen. Wo sind sie denn jetzt, die Herren Primaner? Die Kirchenuhr schlägt eben zehn...

    ☆

    „Wie, schon zehn Uhr? Um Gottes willen, ich muß nach Hause! Meine Mutter wird schön schimpfen.“
    „Du dummes Kleines, du, wir haben doch noch so viel Zeit!“
    Und Gamaschke legt seinen Arm ganz fest um das dumme Kleine. Ännchen ist nicht einmal dumm und auch gar nicht so klein. Ännchen wird in der nächsten Woche achtzehn Jahre alt. Gamaschke nimmt Ännchens Kopf zwischen seine beiden Hände und gibt ihr einen herzhaften Kuß. Sie sitzen oben auf dem Berge in der kleinen Laube, um die sich an manchen Abenden ein richtiges Wettrennen abspielt. Sie liegt so wunderbar schön. Versteckt im Grünen und doch so, daß man von ihr aus einen freien Blick auf den Rhein hat. In der Laube ist eine schöne Bank mit einer so bequemen Lehne aufgestellt.
    „Komm’, setz’ dich zu mir auf den Schoß .. Dummer Gamaschke, das hat deine Freundin ja schon längst gewollt! Bald hat Ännchen vergessen, daß es schon zehn Uhr geschlagen hat und daß Mutter wohl schimpfen könnte. Lieber Gott, es ist ja so schön hier, und Gamaschke... und Gamaschke...
    „Ach, du, wenn es nicht so lächerlich klingen würde, dann sagte ich dir jetzt... „
    Die beiden hören noch manche Viertelstunde schlagen. Da unten liegt der Rhein. Der Abend ist so mild. Der Mond und die Laube sind verschwiegen.

    ☆

    Der Kuckuck im kleinen Wohnzimmer der Peterstraße 7a springt ganz frech aus seinem Uhrenhäuschen, stößt zehnmal das Türchen auf, ruft zehnmal mit heiserer Stimme.
    „Kind, willst du nicht schlafen gehen? Ich habe noch mit Papa zu reden...“
    „Ja, Mama...“
    Klothilde hat am Klavier gesessen und eine Mondscheinserenade geübt. Aber der Mond wollte nicht in Stimmung kommen. Emma sitzt wieder vor einer Stickerei. Nebenan, in seinem Arbeitszimmer, hockt Balduin und schreibt.
    Klothilde küßt Mama und geht hinaus.
    „Den Gute-Nacht-Kuß, mein Kind!“
    Emma legt ihre Stickerei hin.
    Wenn du glaubst, „Balduin“ sei nur ein Spitzname der Schülerschaft, so irrst du dich — Balduin heißt tatsächlich so.
    „Balduin, bitte, ich habe mit dir zu sprechen.“ Emma sagte es energisch. Balduin ist da.
    „Nun setz’ dich doch schon! Ein Skandal, daß du eine ganze Nacht nicht zu Hause warst. Was soll das Kind denken? Und wie du aussiehst!“ Balduin fühlt ängstlich auf seine Pflaster, die Emma ihm heute nachmittag erneuert hat. „Schämen muß man sich ja.“
    Balduin zieht die Zigarrentasche aus seinem Rock. „Du rauchst nicht mehr heute abend.“
    Balduin steckt die Tasche wieder weg. Er hat manches gutzumachen...
    Emma zeigt ein bedeutsames Gesicht:
    „Morgen nachmittag ist ein junger Mann bei uns zu Gast. Er ist ein Bruder der Kusine meiner Freundin — du weißt, sie wohnt in

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