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Flegeljahre am Rhein

Flegeljahre am Rhein

Titel: Flegeljahre am Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ruland
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Beruhigungspillen. Herr Wirt, sagen Sie...“
    Hier darf Theobald nicht folgen. Ein Gast ist immerhin ein Gast und bringt ihm Geld ins Haus, auch wenn er nicht ganz „auf Draht“ ist, wie der „Vater-Rein“-Wirt das nennt. Und Theobald springt auf:
    „Entschuldigen Sie, Herr Professor. Der Herr ist nicht mehr ganz bei Sinnen. Ich bitte Sie, Herr Professor... „
    Die Anrede „Professor“ wirkt Wunder. Der nicht mehr junge Mann wollte ein paar „passende Worte“ sagen, schweigt aber, geht zur Tür, wirft sich in Würde und sagt nur noch laut:
    „Ich würde solche unangenehmen Leute in meinem Lokale nicht dulden!“
    Fort ist er.
    Wie lange Balduin, Theobald und Gabriel noch zusammengesessen haben, weiß man nicht genau. Von Balduin steht fest, daß er seine Schuhe mit Krach auf den Gang der Schlafetage im „Vater
    Rhein“ geworfen, daß er im Bett noch gesungen und über Fleischbrühe geschimpft hat. Es steht ferner fest, daß im Zimmer nebenan ein nicht mehr junger Mann empört an die Wand geklopft und von einer Anzeige wegen ruhestörenden Lärms gesprochen hat. Es steht außerdem fest, daß Balduin weiter geschimpft hat. Es steht schließlich und endlich fest, daß Fritz am nächsten Morgen sehr viel Arbeit hatte, den Herrn Studienrat Balduin Lehrmann von der geographischen Fakultät aus dem Bette zu kriegen und ihn davon zu überzeugen, daß er zur Schule gehen müsse.

    ☆

    So war das nun.
    Die Sommerfliegen sind immer noch da. Vor dem geöffneten Fenster von Tithemis Zimmer singt ein Vöglein. Trotzdem sind Tithemis Stirnfalten wieder amtlich geworden. Balduin fühlt an eines seiner Gesichtspflaster... Er hat nur das Wichtigste gesagt. Tithemi braucht natürlich nicht alles zu wissen.
    Der Herr Direktor hat den Bleistift hingelegt, kriecht wieder in die äußerste Ecke seines viel zu großen Sessels.
    „Tja, Herr Amtsgenosse... Private Sache natürlich. Aber Sie haben das Ansehen der Schule geschädigt. Ich muß Ihnen einen Verweis geben.
    Reden Sie nicht über diese dumme Sache. Ich werde die Polizei verständigen.“
    Balduin läuft ein Prickeln über den ganzen Körper. Auf seinem Hochplateau sind wieder ein paar Schweißperlchen.
    „Ich werde der Polizei den Irrtum melden“, stellt Tithemi klar. „Ich werde gleich beim Kommissar anrufen.“
    Für Balduin strahlt wieder die Sonne. Draußen singt das Vögelchen. Die Fliegen summen.
    „Es wird gut sein, Herr Kollege, wenn Sie bei Herrn Oberlehrer im Ruhestand Grevel vorsprechen. Sie wissen...“
    Balduin weiß.
    Das Vögelchen ist weggeflogen.

Stellt euch einmal vor, das hier wäre die Sonne

    Das Gymnasium zu Rheinstadt liegt wie ausgestorben. Die Klassenzimmer sind leer. Ihre Türen stehen offen. Die letzte Stunde ist seit zehn Minuten beendet.
    Ein schwerer Schritt hallt in dem Gang, der zum Klassenzimmer der Oberprima führt. Kilian paßt es gar nicht, daß er jetzt noch eine Stunde Arrest abhalten muß. Was seine Kerls auch wieder angerichtet haben! Der Teufel soll sie holen.
    Kilian liebt seine Oberprima. Seit zwei Jahren führt er die Klasse jetzt. Es war eine harte Konferenz vor Ostern. Aber Kilian hat gekämpft, hat gesprochen, hat einmal klargemacht, daß es nicht allein auf trockenes Schulwissen ankomme. Und hat auf den Tisch gehauen und bei den Herren Amtsgenossen einmal vom Leben gesprochen und was es fordere... „Seine Kerls“ wissen es. Sie gehen für ihn durchs Feuer.
    Kilian ist Vater von sieben Kindern. Trotzdem hat er noch einen Schüler bei sich wohnen, dessen Vater im Kriege gefallen ist. Er verlangt keinen Pfennig von ihm. Nicht für das Wohnen, nicht für das Essen, nicht für die vielen Stunden, die er ihm schenkt. Das ist Kilian.
    Er pfropft kein totes Wissen in seine Schüler. Er führt sie vom Praktischen her an all die Dinge, die das Gymnasium vermittelt. Er paukt nicht nach Büchern. Er schöpft aus seiner großen Erfahrung, spricht aus der Vielfalt seines Wissens. Kilian ist der Vater seiner dreiundzwanzig „Kerls“.
    Kilian hört sie schon von weitem. Durch die Tür schlägt Lärm an sein Ohr. Er kennt jede Stimme. Natürlich, Gamaschke wieder! Klarer Fall, Bobby ist wieder dabei! Krischan fehlt selbstverständlich auch nicht! Kilian kennt seine Schüler auch alle bei ihren Spitznamen und Biernamen, die sie sich auf ihren heimlichen und daher besonders intensiven Kneipen gegeben haben.
    Kilian öffnet gemütlich die Türe, und Gamaschke brüllt wie ein alter Feldwebel: „Achtung!“
    Im selben Augenblick

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