Flegeljahre am Rhein
los ist.
Tithemi steckt sich eine dicke Zigarre an und bläst seiner Mathilde blauen Dunst vor. Mathilde denkt noch einmal an den vorgestrigen Abend zurück. Wie schön hat Männe doch gesprochen und die Gäste begrüßt... Ach ja.
Noch einmal greift Tithemi nach der Zeitung. Seine Oberprimaner fallen ihm ein. Gewiß, sie haben ihn oft geärgert, sie haben ihn zu Maßnahmen und Verfügungen gezwungen, sie haben sich manche üble Sache geleistet, vor allem diese sechs da... Tithemi denkt an Gamaschke, Civilis, Willi II, Sauerbrunnen, Bobby und Krischan.
Aber, so resümiert er, sind nicht gerade diese sechs Oberprimaner, die ich oft für hoffnungslos unhumanistisch und meines Gymnasiums unwürdig erklärte, die Jungen, mit denen am meisten anzufangen ist? Tithemi nimmt einen tiefen Zug aus seiner Zigarre, versucht Ringelchen in die Luft zu blasen, kann es aber nicht. Jawohl, er hat recht. Die Zigarre sagt es auch.
Eine unverschämte Bande — aber wenn sie einmal geradestehen soll, dann zeigt sie doch, was sie in Wirklichkeit ist.
Noch einen Zug an der Zigarre. Wieder keine Ringelchen.
Wenn ich nur wüßte, wer diese Anzeige aufgegeben hat! Vielleicht einer von diesen Oberprimanern? Möglich, sehr leicht möglich.
Neuer blauer Dunst. Immer noch keine Ringelchen.
Tithemi schlägt seine Beine übereinander, drückt seinen Allerwertesten tief in den Sessel. Im Grunde genommen ist es jetzt vollständig gleichgültig, wer die Ursache dieses Abends ist. Die Hauptsache, daß alles großartig geklappt hat. Nur schade, sehr schade, daß die Idee nicht von mir stammte. „Hattest du etwas gesagt, Mathilde?“
Schon wieder blauer Qualm. Wirklich eine Schande, daß ich nicht Vater dieses Abends bin. Moment mal, wie heißt es doch da in der Zeitung? „Der Direktor hatte geladen...“ Tithemi legt befriedigt das Blatt aus der Hand. Also! Dann bin ich also doch der Veranstalter! Erledigt der Fall! Man schweigt besser darüber. Und sollte einer der Klasse... Auch dann schweigt man besser. Noch immer keine Ringelchen.
„Männe...?“
Männe flog eben durch die Wolken. Gedanken, Gedanken. Männe blickt über den Rand seiner Brille.
„... und, mein Kind...?“
Viel blauer Dunst.
Sehr viel blauer Dunst.
„Männe, ich glaube, du bist sehr müde...* „Müde?“
„Heute ist Mittwoch. Wollen wir nicht früh schlafen gehen...? Du bist an den letzten Abenden immer so lange aufgeblieben... „
Kein blauer Dunst mehr. Die Zigarre liegt in der Rille eines Aschenbechers.
Mathilde hat recht.
Apoll ist ganz allein
Es ist Sommer geworden. Die Sonne strengt sich tüchtig an, um das Thermometer schon früh am Morgen in die Höhe zu treiben. Sie weiß, daß es von vielen Augen gespannt beobachtet wird. Hitzefrei oder nicht? Es liegt ganz allein an dir, gute Sonne! Gib dir Mühe, daß bis um zehn Uhr 24 Grad im Schatten gemessen werden. Du weißt, daß Tithemi es sehr genau nimmt. Wenn es erst fünf Minuten nach zehn Uhr 24 Grad sind, dann ist es nichts mit dem Hitzefrei.
Heute ist alles in bester Ordnung. Die Sonne meint es sehr gut. Manche Stunde fällt aus. Statt schwieriger Homerverse, gibt es ein munteres Baden im Rhein. Statt Logarithmen ein faules Dösen auf einer Bank der Rheinpromenade. Die Schüler freuen sich. Die Pauker tun es auch — wenn sie es auch nicht so zeigen. Wegen des guten Eindrucks. Vor allem Tithemi weiß, wie solche Eindrücke wirken.
Am meisten aber freut sich die Oberprima. Sie denkt gar nicht daran, wie schnell Ostern naht, wieviel sie bis dahin noch lernen muß, wie schnell man im Abitur hängt und wie schnell... ach, Quatsch, das hat ja alles noch so viel Zeit! Zunächst denkt die Oberprima jetzt einmal an die großen Sommerferien. Wann beginnen sie denn? Diese Woche, nächste Woche, dann noch zwei Tage — Civilis zählt Tage und Stunden. Alle anderen tun es auch.
Tag um Tag geht dahin. Kilian macht seine physikalischen Experimente, Balduin reist noch immer in Kanada umher. Tithemi schwelgt in homerischen Versen. Schwamm hat sich in die „Jungfrau“ vertieft und wälzt Kommentare zu Schiller, x 2 zeichnet Kurven und Formeln auf die Tafel und findet es furchtbar schlecht im Leben eingerichtet, daß man jeden Tag fünf Stunden unterrichten muß. Seine Schüler, vor allem die Herren Oberprimaner, finden es noch schrecklicher, daß man sein ohnehin schon überlastetes Köpfchen mit Mathematik quälen muß. Hoi paukt pflichtgemäß die „Germania“ von Tacitus durch und versucht hin und wieder
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