Flegeljahre am Rhein
kleinen Bude und malt Plakate. Den ganzen Tag pinselt er schon. Heute abend muß der Auftrag fertig sein. Zehn große Schilder für ein Sommerfest, das die Wirtschaft »Palmen“ in Rheinstadt veranstaltet. Die Arbeit fließt ihm heute nur so von der Hand. Der Pinsel kann nicht schnell genug Farbe auftragen. Der Bleistift und die Tusche können nicht flink genug arbeiten.
Gupp ist sehr glücklich. Erstens einmal wegen der Ferien. Zweitens, weil er einige gute Aufträge in Aussicht hat und das rückständige Schulgeld bezahlen kann. Drittens und im allgemeinen... Gupp hat wirklich allen Grund, ein vergnügtes Gesicht zu machen. Nicht allein wegen der Wurst, die er morgens auf sein Butterbrot legen kann. Auch nicht wegen des Fleischsalates, der ihm heute abend schmecken wird.
Wurst und Fleischsalat kommen von lieber Hand. Die Hand ist noch viel mehr als lieb und gehört einem hübschen Mädel, das Klärchen heißt. Gupp kennt es seit zwei Monaten.
Gupp liebt seine Freundin sehr. Sie liebt ihn noch mehr. Ihr Vater besitzt ein großes Geschäft. Lebensmittel, Spirituosen, Tabakwaren. Gupp hat wirklich allen Grund, glücklich zu sein. Er wird sein Abitur sorglos machen können... Sämtliche Preisschildchen in dem Geschäft, aus dem Gupp Wurst und Fleischsalat bezieht, sind von seiner Hand gemalt.
Gupp legt den Pinsel hin. Er zündet sich eine Zigarette an, bläst den Rauch zu einem spitzen Trichter, sieht seine Schulbücher da liegen. Ja, ja
— ich muß noch sehr viel arbeiten, wenn Ostern alles gut gehen soll. Ich muß unbedingt... Da greift er wieder nach seinem Pinsel. Er muß zuerst Geld verdienen. Er legt den Pinsel noch einmal aus der Hand und sieht auf das kleine Bild, das über seinem Tisch hängt. Ein Mädel, dreiundzwanzigjährig, lächelt ihn an. Da nimmt Gupp wieder seinen Pinsel. Da weiß er wieder, daß es gut ist — alles, sein verlassener Büroschemel, Rheinstadt, die Wurst, die Oberprima, und er hofft, daß auch das Abitur gut sein wird...
Gut ist es auch, wenn man die Ferien dazu benutzt, sich etwas vertrauter mit der klassischen Sprache der Götter zu machen und griechische Grammatik zu pauken. Tithemi hat es Bobby eindringlich klargemacht. Bobby ist mit den besten Vorsätzen nach Hause gefahren. Er hat sogar die griechische Grammatik mitgenommen. Auch Homer hat die Heimreise mitgemacht. Aber Bobby hat ihn bald vergessen. Bobby hat andere Dinge im Kopf als griechische Syntax. Witze erzählt man nicht in Hexametern. Wenn man mit einem kleinen Mädchen spazierengeht, kann man nicht gut von unregelmäßigen Verben sprechen. Wenn man auf die Kirmes geht, belasten klassische Dinge das Gemüt. Bobby nimmt sich ernstlich vor, das Arbeiten auf die beiden letzten Ferienwochen zu verschieben.
Wozu soll man sich Sorgen machen? Krischan setzt sich an das Steuer von Vaters Wagen und kutschiert in der Gegend herum. Daß er erst neunzehn Jahre alt ist, ärgert ihn oft. Mit neunzehn Jahren wird man nicht immer ernst genommen. Er will es aber, daß er nicht als Schüler, sondern schon als „Herr“ angesehen wird. Krischan läßt sich ein kleines Bärtchen auf der Oberlippe wachsen. Am Ende der Ferien wird er es wieder abrasieren. Rasieren fällt bei Sauerbrunnen während der Ferien aus. Wenn man im Garten arbeitet, legt man keinen Wert auf Zivilisation. Er wollte so gerne nach München fahren, in die Berge, zum Bodensee. Aber dazu braucht man Geld, und Geld ist für Sauerbrunnen eine etwas problematische Angelegenheit. Im Garten ist es aber auch ganz nett, und solange die Brötchen noch gut schmecken, ist das Leben zu ertragen.
Solange man am Rhein Kirmes feiert, ist für Willi II das Leben besonders schön. Willi II malt Noten, komponiert Tangos, schreibt Foxtrotts und läßt die Leute auf den Dörfern rings um Rheinstadt tanzen. Jeden Sonntag und die darauffolgenden nächsten Tage ist er eifrig beschäftigt mit Fiedelbogen und Klaviertasten. Er hat schon ein nettes Sümmchen in diesen Ferien zusammengespielt. Gamaschke merkt, daß es höchste Zeit ist, das Abitur zu machen und sich für den Beruf vorzubereiten. Wie herrlich ist es doch, wenn man ganz genau weiß, was man anfangen will. Gamaschke weiß es. Er wird Journalist werden. Er nutzt die Ferien und sieht sich einmal um in seinem künftigen Beruf. Für die Zeitung seiner Heimatstadt schreibt er über Zuchtbullenauktionen, die ersten gefallenen Blätter und über die Notwendigkeit einer neuen Beleuchtung in der Ellbachstraße. Davon hat der gute
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