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Flegeljahre am Rhein

Flegeljahre am Rhein

Titel: Flegeljahre am Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ruland
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Papierindustrie ist hochentwickelt. Wenn Balduin jetzt wüßte, was Gamaschke eben schreibt... Auch über etwas Hochentwickeltes. Aber mit Kanada hat das noch immer nichts zu tun. Krischan ist eingeschlafen. Er schnarcht. Kanadas Lüfte aus vermoderten Atlanten und ein bierseliger Kater haben ihn Morpheus in die Arme gelegt.
    Balduin läßt sich nicht stören... Er reist weiter. Sauerbrunnen hat Appetit bekommen und packt sein Frühstück aus. Willi II malt Noten. Das hält ihn wach.
    Kanada liegt nördlich der Vereinigten Staaten, wenn die Herren Oberprimaner das noch nicht wissen sollten. Einsam und verlassen reitet Balduin durch die kanadischen Wälder... Es schellt. Da scheut ihm das Pferd. Das Buch rutscht ihm aus der Hand, und Kanada ist vergraben.
    Balduin zieht seinen dicken Wollschal stramm.
    Tithemi soll sehen, wie eifrig er ist... Gestern krank, auch heute noch nicht gesund — siehe Schal, höre die tiefe Stimme — und doch wieder im Dienst.

    ☆

    Im „Rheinstädter Anzeiger“ ist am nächsten Tag ein großer Bericht über einen „glänzend gelungenen Festabend des Gymnasiums“ zu lesen. Schwamm liest ihn.
    Kilian studiert ihn und schmunzelt.
    Auch Gupp. Und Krischan.
    Die ganze Stadt „verschlingt“ ihn.
    Ungezählte Dörfer rings um Rheinstadt lesen ihn. Wenn ein Exemplar in die Südsee verschlagen wird, wird er auch dort zur Kenntnis genommen. Was aber am allerwichtigsten ist: auch Emma, auch Klothilde haben ihren Spaß daran. Den einen Abschnitt lesen sie jetzt nun zum vierundzwanzigstenmal:
    „Einen ganz besonderen Genuß boten die Klaviervorträge von Fräulein Klothilde Lehrmann, Tochter des leider allzu plötzlich verhinderten Redners des Abends, die sich als hochentwickelte Künstlerin produzierte. Voller Gemüt und Inbrunst, mit dem stillen Pathos einer ringenden und suchenden Seele und mit der Innerlichkeit eines in der Musik gereiften Menschen riß sie die Zuhörer zu andächtigem Lauschen hin. Ihr Spiel war mehr als Vortrag — es war letzte geheimnisvolle Ausdeutung verzauberter Töne. Die Hörer lösten sich los von der irdischen Last und entschwebten mit dem Klingen des Spiels in eine „Welt des Glücks und der Zufriedenheit. Fräulein Lehrmann spielte...“ Gamaschke hat seinen ganzen Phrasenschatz herangeschafft. Der Redakteur hat manches streichen wollen, aber Gamaschke hat seinen künftigen „Kollegen“ zu überreden gewußt, und alles blieb unverändert.
    Da steht es nun. Schwarz auf weiß. Gedruckt. In der Zeitung. Emma ist ganz ergriffen von diesem Stück Papier, das ihre Tochter feiert. Klothilde zerfließt in Glück und Stolz. Klothilde sieht den Himmel offen. Mama bekommt einen Kuß. Mama kriegt noch einen Kuß.
    Dann geht Klothilde in die Stadt. Mit Balduins Mappe unter dem Arm. Sie blickt nicht nach links. Sie sieht nicht nach rechts. Bitte, hat sie das noch nötig? Die Leute sollen sie gefälligst ansehen! Die sollen ehrerbietig tuscheln, wenn sie vorbeikommt. „Sehen Sie, da kommt Fräulein Lehrmann... „ Sie sollen „hochachtungsvoll“ zu ihr aufschauen. Sie sollen... ach was, wie sollen diese Leute schon etwas von Klavierspiel und lyrischen Soli verstehen, diese einfältigen braven Bürger! Klothilde trägt eine große Blume auf der Brust.
    Die Blume geht ihr voran. Ein Hauch duftenden Ruhms...
    Klothilde legt die Mappe auf den Schalter des „Rheinstädter Anzeigers“. Sie verlangt zwanzig Exemplare der heutigen Ausgabe. Macht zusammen drei Mark. Für drei Mark sieht sie sich zwanzigmal gedruckt.
    Die Zeitungen werden sorgfältig in eine Schublade gelegt. Emma holt eine Schere, nimmt ein paar Zeitungen wieder aus der Schublade und schneidet sorgfältig den Artikel aus, der von dem großen Können ihrer Klothilde Kunde gibt. Emma lächelt beglückt. Sie hat einen unerschütterlichen Glauben an die Zukunft.
    Emma ist eine kluge Frau. Eine sorgende Mutter. Sie weiß schon, was man mit einem solchen Zeitungsausschnitt anfangen kann.
    „Mein Kind, spiele mir etwas vor!“

    ☆

    Auch Tithemi hat sich in den „Rheinstädter Anzeiger“ vertieft und ist bester Laune, als er den Bericht über den Festabend in der Aula liest. Seine Rede ist zwar nicht richtig wiedergegeben, aber was dort von ihm gesagt ist — das läßt sich schon lesen! Ein „rühriger Direktor“, dagegen ist nichts zu sagen. Ein „verständiger Schulmeister“, auch das ist großartig gesagt. Wer nur diesen Bericht geschrieben hat...? Man muß sagen, der Verfasser hat richtig erkannt, was

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