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Flegeljahre am Rhein

Flegeljahre am Rhein

Titel: Flegeljahre am Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ruland
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dadurch Eindruck machen und aus einem „Genügend minus“ ein „Genügend plus“ machen.
    Weihnachten steht vor der Türe... Die Oberprimaner des Gymnasiums zu Rheinstadt merken es mit Bangen. Nur die Mitglieder der „Schwarzen Hand“ lassen sich nicht aus der Ruhe bringen.
    Es wird schon alles gut gehen. Wozu Aufregung? Was soll das Bangen?
    Krischan hat schon einen „genialen Plan“ entworfen, um die große Schlacht mühelos zu schlagen. Krischan spricht noch nicht darüber. Er hat zur Zeit noch wichtigere Dinge zu tun.
    Solange Sauerbrunnen die Käse- und Wurstbrötchen noch schmecken, ist nichts zu fürchten. Solange Willi II noch Noten in der Mathematikstunde malt und Tangomelodien in sich hineinbrummt, während in Tithemis Stunden Odysseus die Freier seiner Gemahlin Penelope tötet, kann man am Abend noch in Ruhe sein Bier trinken und Karten spielen. Solange Bobbys Witzrepertoire nicht erschöpft ist und Gamaschke mit Ännchen spazierengeht, kann Civilis sich in Mußestunden an „Gedichten für Hilde“ versuchen, statt trigonometrische Formeln für x 2 zu pauken. Civilis hat übrigens bei x 2 eine gute Nummer. Wenn er sich anstrengt, kann er es noch zu einer guten Note bringen. Solange Gupp sich nicht aufs neue „aufschwingt zu seiner alten Höhe“ — wie gebildet Hoi sich ausdrückt, wenn er einen zum Arbeiten bringen will! —, ist kein Grund vorhanden, sich ernstliche Sorgen zu machen.
    Aber eines Morgens bläst Tithemi in sein Horn. Drei Tage vor Beginn der Weihnachtsferien kommt Tithemi in die Klasse. Kilian gibt seinen Geschichtsunterridit. Er spricht gerade vom Juli 1914. Er läßt eben die Diplomaten falsche Schritte machen. Da ist Tithemis Schritt im Klassenzimmer. Tithemi macht ein sehr ernstes Gesicht, stellt sich vor die erste Bank, stützt sich mit den Händen darauf, wendet sich an die Oberprimaner, die nun in drei Monaten „ins Leben treten werden“. (Manche sind aber schon oft hineingetreten... denkt Civilis.)
    „Meine Oberprimaner, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß es noch viel zu arbeiten gibt...“
    Weshalb macht Tithemi uns denn noch vor den Ferien einen schweren Kopf? Gamaschke gefällt das gar nicht.
    „... Sie wissen, wie schnell die Zeit vergeht! Sie wissen, wie viel von Ihnen verlangt wird...“ Gupp seufzt tief auf. Ein paar andere tun es auch. Aber bei ihnen hört man es nicht.
    Tithemi hat noch viel zu sagen. Die Oberprimaner merken es immer mehr, was die Uhr geschlagen hat. Es wird klar, daß nun tüchtig gearbeitet werden muß. Es wird ihnen immer deutlicher, daß man sich nun eine Reihe schöner Dinge aus dem Kopf schlagen muß. Kilian macht auch ein Gesicht, in dem lauter Zustimmung zu Tithemis Worten liegt.
    Kein Zweifel: jetzt hört die Gemütlichkeit auf.
    Schön, Tithemi, wir wollen alle deine Worte in unser Herz graben und uns ernstlich vornehmen, unser Leben zu bessern. Guter Tithemi — wir halten Wort.
    Gamaschke erhebt sich und spricht im Namen der Klasse ein paar schöne Worte.
    Tithemi ist wieder verschwunden. Kilian dreht die Weltgeschichte für heute keine siebzehn Jahre mehr zurück, sondern bleibt in der Gegenwart. Auch er hat mit „seinen Kerls“ noch ein Hühnchen zu rupfen.
    „Das sage ich euch, Burschen, wenn ihr jetzt nicht tüchtig arbeitet, dann könnt ihr aber etwas erleben!“
    Wie Kilian die Situation umreißt — das „sitzt“ ganz anders als die amtlichen Worte Tithemis. Da hört die Klasse lieber hin. Ihr Kilian wird energisch und legt eine andere Platte auf. Kilian muß man folgen. Er hat immer für die Klasse gekämpft. Es sind immer „seine Kerls“ gewesen, auch wenn sie sehr oft nichtsnutzig und frech waren. Aber zum Jungsein gehört auch das Frechsein: wenn es im entscheidenden Augenblick ganze Kerls sind, über die man sich ärgert und die einem dennoch ans Herz gewachsen sind... Sie werden auch jetzt wieder „in Ordnung“ sein, seine Oberprimaner, das wollen wir doch einmal sehen. Kilian setzt sich auf eine der Bänke, streckt die Beine von sich. Da sieht die Klasse, daß Kilian verschiedene Socken trägt. So sieht eine Klasse ihren Pauker gern: ganz privat. Kilian macht sich nichts daraus und spricht weiter, wendet sich an Gupp, redet auf Willi II ein, hat dem etwas zu sagen, diesem einen Rat zu erteilen, bestellt Bobby für heute nadimittag zu sich in die Wohnung, verspricht einem anderen ein Buch.
    Da merkt die Klasse wieder, daß man Kilian einfach nicht im Stich lassen darf und auf ihn zu hören hat.

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