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Flegeljahre am Rhein

Flegeljahre am Rhein

Titel: Flegeljahre am Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ruland
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Amtsgenossen! Ein kleiner bedauerlicher Vorfall zwingt mich…“
    Kilian ahnt etwas und blickt teilnahmsvoll auf Tithemi. Er soll nur ja nichts über seine Kerls sagen!
    Balduin streichelt seine frischrasierte Glatze. Er denkt mit Grausen an heute nachmittag. Seine Frau Emma hat wieder einen neuen Plan... Und jetzt kommt ihm Tithemi mit einem bedauerlichen Vorfall!
    Schwamm hat mit beiden Händen die Lehne des vor ihm stehenden Stuhles gefaßt, blickt auf das grüne Tuch des Tisches und wartet gespannt auf den „Tatbestand“ des bedauerlichen Vorfalls. Vielleicht wird er einen Kommentar dazu geben können.
    x 2 , der Don Juan des Kollegiums, der sich immer darüber ärgert, daß die Schüler ihm einen so blöden Namen gegeben haben, denkt im Augenblick an vieles andere — nur nicht an bedauerliche Vorfälle.
    Hoi räuspert sich, wagt aber kein Lachen und präpariert seinen alten und doch ewig neuen Witz, den er später wieder zum besten geben wird. Bruno hat soeben sein weißes Brusttuch neu drapiert, sieht ehrfurchtsvoll zu Tithemi. Mon Dieu, schon wieder ein bedauerlicher Vorfall, I am sorry, so etwas. Jawohl, englisch spricht Oskar auch.
    Die übrigen Pauker machen durchschnittlich ein amtliches Gesicht.
    „...ein kleiner bedauerlicher Vorfall zwingt mich zu der unangenehmen Frage — verzeihen Sie, meine Herren Amtsgenossen —, wer von Ihnen heute morgen die Amtstoilette benutzt hat…“
    Ein Herr Amtsgenosse sieht den anderen Herrn Amtsgenossen an. Allgemeines Kopfschütteln. Teils so, teils so — besagter Ort wirkt sich auf die Gemüter verschieden aus.
    „... heute morgen wurde dort nämlich eine Fensterscheibe zerbrochen. Da ich diese Scheibe nicht ohne weiteres aus der Staatskasse ersetzen lassen kann...“
    Natürlich war dieser und jener dort. „Weshalb sollen Pausen nur ein Vorrecht der Schüler sein? Aber eine Scheibe zerbrochen? Was erlauben Sie sich, Tithemi!“
    „... bin ich gezwungen, nach dem Urheber der Scherben zu fahnden. Von unseren Schülern ist es keiner gewesen. Ich bitte Sie also, meine Herren Amtsgenossen...“
    „Ich zeichne 50 Pfennige, Herr Direktor!“
    Kilian sucht schon in seiner Westentasche nach einem Fünfziger. Tithemi ist verblüfft. Die Herren Amtsgenossen schmunzeln. Hoi lacht homerisch.
    Tithemi hat den Faden seiner Rede verloren. Nicht schlimm, denn er braucht ja nicht mehr zu bitten. „Ich war es jedenfalls nicht!“ lacht Kilian noch. „Ich zeichne 75 Pfennige!“ ruft x 2 .
    „Wieso, meine Herren, wieso?“ trompetet dann Schwamm dazwischen. „Ich bin der Ansicht, daß der bezahlen soll, der auch wirklich die Scheibe zerbrochen hat. Ich sehe nicht ein...“
    Weiter kommt er nicht. Die Idee von Kilian, eine Liste rundreichen zu lassen, wird begeistert aufgenommen und belacht. Tithemi spielt wieder mit seinem Bleistift und gibt sich ganz unamtlich: „Ich selbst bin natürlich auch bereit…“
    Da kann Schwamm auch nicht anders:
    „25 Pfennig von mir dazu!“ brummt er und verzichtet auf jeden weiteren Kommentar.
    Die Reparatur wird höchstens vier Mark kosten. Mehr als fünf Mark sind gesammelt.
    „Was nach dem Bezahlen einer neuen Scheibe übrigbleibt, meine Herren …“
    Die Meinungen gehen auseinander.
    Ein zweiter Schlüssel oder ein Schildchen „Bitte das Schellen nicht überhören. Der Direktor“, das im Innern des Örtchens angebracht werden soll — das ist die Frage.
    Der Vorschlag mit dem kleinen Schild stammt von Kilian.
    Tithemi ist wieder amtlich:
    „Meine Herren, es hat geschellt! Den nicht benötigten Rest des Geldes werden wir dem Geschichtsverein überweisen. Einwände?“
    Nein, keine Einwände.
    Die Herren Amtsgenossen eilen in ihre Klassen.

Ein Don Johann wird gesucht

    Die Schaufenster der Geschäfte in Rheinstadt haben weihnachtlichen Schmuck angelegt. Gabriel hat zwischen seine Tintenfässer und Schreibblocks, zwischen seine Bücher und Kreppapierrollen kleine Tannenzweige gesteckt.
    Es riecht überhaupt sehr nach Weihnachten. In vierzehn Tagen ist es so weit. Für Gymnasiasten hat Weihnachten dadurch eine besondere Bedeutung, daß es Ferien gibt.
    Für Oberprimaner ist Weihnachten ein wichtiges Signal, so eine Art Vorhang vor dem letzten Akt. Wenn Weihnachten da ist, folgt bald Ostern. Vor Ostern aber liegt das Abitur und liegen die schweren Stunden.
    Der letzte Akt des großen Rennens ist besonders wichtig. In ihm läßt sich viel nachholen, was bisher versäumt wurde. Man kann noch einmal den besten Willen zeigen, man kann

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