Flehende Leidenschaft
übertragen, dem stellvertretenden Kanzler der Königin, der sich derzeit auf seinem Landsitz aufhalte und nicht belästigt werden dürfe.
Und so schrieb Kinmont an Lord Scroope und erklärte, Robbie müsse bedingungslos aus der Haft entlassen werden, da man ihn widerrechtlich gefangengenommen habe.
Lord Scroope erwiderte, ohne die Zustimmung Königin Annes und ihrer Ratsherren könne er nichts unternehmen.
Natürlich erkannte Johnnie die Verzögerungstaktik und hatte längst begonnen, seinen Plan durchzuführen.
Am Tag, wo Lord Godfrey den Brief erhalten hatte, waren sieben Ravensby-Männer in Harbottle eingedrungen, um die Lage zu sondieren. Einen Tag später bekam Robbie eine rätselhafte Nachricht, mit Hilfe eines Schankwirts und eines Gefängniswärters, die beide um fünfzig Pfund reicher wurden. »Bald findet ein Austausch statt.« Mehr stand nicht auf dem Pergament, aber der jünger Bruder des Lairds lächelte. Nun fiel es ihm leichter, die Gefangenschaft zu ertragen.
Vier Tage verstrichen, während Johnnies Boten nach Durham ritten, wo Lord Scroope auf seinem Landsitz Bishopgate die Narzissen pflegte. Inzwischen sammelten die Ravensby-Späher die nötigen Informationen über Elizabeth Grahams Tagesablauf. Sorgfältig wurde die Entführung der Geisel vorbereitet.
An einem ungewöhnlich warmen Freitag im März ritt Johnnie Carre nach Harbottle, als Wanderprediger verkleidet.
Zwei Geistliche begleiteten ihn, und alle drei verbargen ihre Waffen unter langen, schwarzen Kutten. Langsam durchquerten sie das Dorf und näherten sich dem Schloß.
Im Peartrea’s Inn stiegen sie ab, stellten ihre Pferde im Stall unter und nahmen sich ein Zimmer. Sie aßen im Privatsalon zu Mittag und tranken zwei Flaschen von Mr. Peartreas bestem Rheinwein. Dann beschrieb ihnen der Wirt den Weg zu Dame Rosberys Haus, wo vornehme junge Ladies unterrichtet wurden.
Dame Rosbery, Lady Grahams einstige Gouvernante, war von ihrem Schützling großzügig abgefunden worden und hatte eine Schule in Harbottle gegründet. Wie Johnnies Späher herausgefunden hatten, besuchte Elizabeth die Lehrerin jeden Nachmittag um zwei Uhr.
»Ich gehe, Vater, mit oder ohne Wachtposten«, beharrte Elizabeth Graham ärgerlich. »Und wenn du keine Eskorte auftreiben kannst, verzichte ich eben darauf. Es ist mir ohnehin rätselhaft, warum ich in diesem kleinen Dorf, wo zwei Kompanien stationiert sind, einen Beschützer brauche. Wurde ich jemals angegriffen? Großer Gott, Vater, jeder kennt mich, und jeder weiß, daß du hier der Königliche Statthalter bist.«
Nach achtjähriger Ehe mit einem Mann, der ihr trotz seiner zahlreichen Fehler gewisse Freiheiten gestattet hatte, sah sie keinen Grund, wieder die unterwürfige Tochter zu spielen.
»Wieso mußt du Tag für Tag zur Dame Rosbery laufen?« fragte er erbost. Seit Elizabeth nach Harbottle zurückgekehrt war, zerrte ihre Arroganz an seinen Nerven.
»Und wieso nicht? Warum willst du mich in dieser feuchtkalten, düsteren, langweiligen Burg festhalten? Wirst du mir beim Dinner wieder einmal einen Bewerber präsentieren?«
»Du solltest wieder heiraten.«
»Da bin ich anderer Meinung. Und solange du an deiner Tafel Männer versammelst, die nicht mehr zu bieten haben als Ländereien in Northumbria, kannst du mich nicht umstimmen.«
»Vielleicht müßte ich dich zwingen, meine Wünsche zu erfüllen.«
»Das wird dir niemals gelingen, Vater. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?« Ihre grünen Augen schienen Funken zu sprühen. »Über mein Vermögen kann ich frei verfügen. Es wird vom Graham-Kuraten verwaltet, und mehrere Redesdale-Männer schützen ihn. Deshalb ist mein Geld sogar vor dir sicher. Und ich glaube, das lag in Hotchanes Absicht. Jedenfalls werde ich Rosie auch weiterhin besuchen und ihr in der Schule helfen. Sei bitte so freundlich und misch dich da nicht ein.«
Hilflos beobachtete der mächtige Lord Godfrey, wie seine Tochter das Arbeitszimmer verließ.
»Wharton!« schrie er. »Besorgen Sie mir einen Wachtposten!«
Wenig später eilte Elizabeth Graham aus dem Burghof und ignorierte ihren Bewacher. Vorsichtig stieg sie die steile, mit Kopfsteinen gepflasterte Straße zum Dorf hinab. Alle Leute, die ihr begegneten, begrüßten sie freundlich. Da sie in Harbottle aufgewachsen war, kannte sie sämtliche Bewohner.
Vor der Kirche blieb sie kurz stehen und bewunderte das bunte Fenster, das den Heiligen Georg und den Drachen darstellte. Das kleine, mittelalterliche Gebäude stand am
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