Flehende Leidenschaft
erröten.
»Hat er Sie angefaßt?«
Wer mit dieser Frage gemeint war, mußte die Frau nicht erklären. Aber ehe Elizabeth antworten konnte, erklang hinter ihr die Stimme des Entführers.
»Guten Abend, Janet. Darf ich dich mit Lady Graham bekanntmachen?« Mit langen Schritten näherte er sich dem Podest. »Lady Graham, das ist meine Nachbarin, Gräfin Lindsay.« Während sich die beiden Frauen zunickten, fuhr er fort: »Ihr Vater, Mylady, hat mit Janets Ehemann, dem Grafen von Midlothian, einige offizielle Transaktionen durchgeführt. Wenn du uns jetzt entschuldigen würdest, Janet – ich möchte Lady Graham in ihr Zimmer bringen. Der lange Ritt hat uns alle ermüdet.«
»Gut, ich erwarte dich dann beim Dinner.« Ihre Anmaßung war durchaus beabsichtigt, denn sie wußte, daß er in der Öffentlichkeit keinen Streit anfangen würde.
Auf dem Weg durch die labyrinthischen Gänge schwieg er, offensichtlich in Gedanken versunken, und der Schloßverwalter mußte seine Frage, die Lady Grahams mangelndes Gepäck betraf, zweimal stellen.
»Mrs. Reid soll irgendwelche Kleider für sie heraussuchen«, entgegnete Johnnie schließlich, während sie die Treppe zum Turmzimmer hinaufstiegen. »Brauchen Sie sonst noch was, Mylady?«
»Nein, danke. Nichts … Nun, vielleicht ein paar Bücher, damit mir die Zeit nicht zu lang wird.«
»Ich will Sie nicht einsperren, Lady Graham. Wenn Sie mir versprechen, keinen Fluchtversuch zu unternehmen, dürfen Sie sich frei im Schloß und auf dem ganzen Gelände bewegen.«
»Natürlich gebe ich Ihnen mein Wort.«
»Ich hoffe, Sie finden Ihren Aufenthalt in Goldiehouse einigermaßen angenehm. Wenn sie irgendwelche Wünsche äußern wollen, wenden Sie sich an Dankeil Willie. In Ihrem Zimmer müßte inzwischen eine Zofe warten. Mein Küchenpersonal versteht sein Handwerk. Also können Sie auch ausgefallene Wünsche äußern, was Ihre Speisen angeht. Habe ich etwas vergessen, Willie?«
»Nur den Wein, Johnnie.« So vertraulich wurde der Laird von allen seinen Untergebenen angeredet, da sie ausnahmslos mit ihm verwandt waren.
Obwohl England einen Krieg gegen Frankreich führte, hatte das schottische Parlament das Einfuhrverbot aufgehoben, das für französische Weine galt. 3
»Wir beziehen unsere Weine aus Frankreich auf legalem Weg«, erklärte Johnnie seiner Gefangenen, »während die Engländer diese köstlichen Tropfen übers Meer schmuggeln müssen. Also können Sie Ihren Lieblingswein wählen. Außerdem besitzen wir einen reichlichen Vorrat an Rheinweinen, weil die Engländer und Holländer im letzten Herbst diesen schönen Fluß erobert haben. Willie rühmt sich seines fachkundigen Gaumens. Falls Ihnen die Wahl schwerfällt, lassen Sie sich von ihm beraten, Mylady.«
Freudestrahlend bot der Verwalter seine Dienste an, und Elizabeth erwiderte sein Lächeln. »Dann will ich mich Ihnen rückhaltlos anvertrauen, Willie.«
»Einverstanden, Mylady.«
Wenig später betraten sie das geräumige, luxuriös eingerichtete Turmzimmer, das an drei Seiten eine prächtige Aussicht bot.
Italienische Künstler, von einem früheren Laird nach Ravensby gelockt, hatten die Wände bemalt, erlesene türkische Teppiche milderten die Kälte des Steinbodens. Mit ihrer seltsamen Verschmelzung mittelalterlicher und neoklassischer Motive erinnerten die Möbel an ein Kloster.
»Es sieht fast so aus, als hätte eine Märchenfee dieses Zimmer ausgestattet«, meinte Elizabeth, wandte sich zu Johnnie und begegnete einem bewundernden Blick.
Aber seine Miene nahm sofort wieder den Ausdruck eines höflichen, distanzierten Gastgebers an. »Hätte mir eine Fee beigestanden, wären Sie in Harbottle geblieben, und ich müßte Sie nicht gefangenhalten, um Robbie aus Lord Godfreys Verlies zu holen. Für die Gestaltung dieses Turmzimmers ist meine Mutter verantwortlich. Sie hat hier oben gemalt.«
»Oh …« Sie wußte nicht, ob sie neugierige Fragen nach seiner Mutter oder anderen Verwandten stellen sollte – und wieviel sie über diesen faszinierenden, attraktiven Mann wissen wollte.
Johnnie hätte ihre Unsicherheit am liebsten weggeküßt. Während ihrer Ehe mit einem Mann, der viermal so alt gewesen war wie sie, hatte sie sich entweder mit Liebhabern schadlos gehalten – oder sie brauchte einen, und zwar dringend. Dieser Gedanke brachte seinen Entschluß fast ins Wanken.
Nein! Beinahe hätte er das Wort laut ausgesprochen. Vielleicht später, überlegte er und zügelte sein Verlangen. Wenn Robbie befreit ist
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