Flehende Leidenschaft
erklärte er und legte einen Seidenschal über ihr Gesicht.
Jetzt konnte sie nichts mehr sehen, aber sie spürte seinen kraftvollen Körper, der ihren berührte. Und sie roch süßen Klee, Thymian und Roggenhalme.
Adam und Kinmont lenkten den Pferdewagen durch das Dorf, so schnell sie es wagen konnten, ohne Aufsehen zu erregen. In sicherer Entfernung ließen sie den Karren stehen, zwischen hohen Erlen am Ufer eines Bachs, wo mehrere Männer mit Pferden warteten.
Immer noch gefesselt und geknebelt, saß Elizabeth vor dem Laird im Sattel, während sie nordwärts galoppierten. Nach ein paar Meilen stießen zweihundert Carre-Männer zu der kleinen Gruppe. Beim Anblick der Geisel grinsten sie erfreut.
»Mein Bruder wird in einem Verlies von Harbottle Castle festgehalten«, erklärte Johnnie auf dem Paß, der über die Cheviot Hills führte. Noch war kein Verfolger zu sehen. Auf der anderen Seite der Berge lag Schottland, wo keine Gefahr mehr drohte. »Wenn Sie mir nicht die Ohren vollschreien, befreie ich Sie von Ihrem Knebel.«
Als sie nickte, löste er den Knoten des weißen Leinentaschentuchs. »Also, Johnnie Carre«, begann sie in kühlem, geschäftsmäßigen Ton. Jetzt, wo sie den Grund ihrer Entführung kannte, fürchtete sie sich nicht mehr. »Sicher wird Ihr Bruder bald in Ravensby eintreffen. Mein Vater legt sehr großen Wert auf mein Vermögen.«
»Das weiß ich. Und es ist jammerschade, daß Robbie festgenommen wurde, denn ich würde Sie gern behalten.«
»Nun, ich bin kein Gegenstand, den man einfach behalten kann«, erwiderte sie belustigt. Sie wandte sich zu ihm, und ihre grünen Augen strahlten. »Aber Sie sind ein Mann, der mich interessieren könnte.«
Plötzlich spürte er ihre warmen, weichen Hüften viel zu verführerisch zwischen seinen Schenkeln, und er erinnerte sich voller Bedauern an seinen Entschluß. Elizabeth Graham durfte kein Haar gekrümmt werden. Sonst würde er die Verhandlungen gefährden. Noch zwei Stunden in ihrer verlockenden Nähe – das wäre zu riskant. So hielt er an und setzte sie auf ein anderes Pferd. Während er ihr die Zügel reichte, lächelte sie. Erriet sie seine Gedanken? »So haben Sie’s bequemer«, bemerkte er.
»Und Sie vermutlich auch.«
»Allzulang werden Sie nicht in Ravensby bleiben.«
»Gewiß nicht.« Ebenso wie Johnnie wußte sie, daß der Vater ihr Geld nicht aufs Spiel setzen würde, nur um einen einzigen Schotten gefangenzuhalten, mochte der Mann auch aus einer illustren Familie stammen.
»Von Uswayford aus schicken wir Ihrem Vater einen Boten«, verkündete er, als sie weiterritten.
»Dann muß ich Ihre Gastfreundschaft höchstens zwei Tage lang beanspruchen.«
»Das ist anzunehmen«, bestätigte er und spornte seinen Rappen an, um Elizabeth Grahams bedrohlicher Nähe zu entrinnen.
Bis sie Ravensby erreichten, sprach er nicht mehr mit ihr.
4
Die Festung Goldiehouse, im Lauf der Zeit mehrmals umgebaut, präsentierte eindrucksvoll die europäischen Architekturstile von der Gotik bis zur Neoklassik. Majestätisch erhob sie sich in der Parklandschaft am River Tweed, das schönste Bauwerk, das Elizabeth je gesehen hatte.
Im Licht der Abendsonne schimmerten die Mauern goldgelb vor dunklen Kiefern und dem jungen Grün der Buchen. Die Fenster glitzerten wie Juwelen.
Hier wohnt kein rauhbeiniger Grenzlord, dachte sie, als die Truppe in den großen gepflasterten Hof ritt. Eher ein lebensfroher Renaissancefürst …
Dienstboten eilten den Heimkehrern entgegen, und vier Männer halfen der Gefangenen aus dem Sattel. Vergeblich schaute sie sich nach dem Laird um. Sie wurde in die Halle geführt, wo kostbare Gobelins die Wände schmückten. Im Kamin flackerte ein helles Feuer und erwärmte den Raum mit dem hohen gotischen Deckengewölbe.
An der Wand gegenüber dem Eingang stand eine Frau auf einem kleinen Podest, zu dem geflieste Stufen hinaufführten. Schön und schlank, mit glänzendem dunklem Haar, in saphirblauem Kaschmir, wirkte sie wie die Schloßherrin.
»Allzulange werden Sie wohl nicht hierbleiben«, sagte sie kühl.
Elizabeth hatte im Haus, das die Gegner ihres Vaters bewohnten, keinen herzlichen Empfang erwartet, aber ebensowenig diese unverhohlene Feindschaft. Immerhin war ihr der Laird sehr höflich begegnet. Wer mochte die Frau sein? »Hoffentlich werde ich bald freigelassen«, erwiderte sie und ging zu den Stufen. Der kleine Mann in mittleren Jahren, der sie begleitete, seufzte unbehaglich, und als sie ihn anschaute, sah sie ihn
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