Fleisch essen, Tiere lieben
Kann ich den Tod dieses Tiers verantworten? Ist mein Mittagessen das wert?
Die Idee für das Porkcamp hatte Florian Siepert. Der 33-Jährige lebt seit einigen Monaten in Horneburg. Der Ort lässt sich per S-Bahn in einer halben Stunde von Hamburg aus erreichen. Siepert lebt dort mit seiner Frau Linda Muck und ihren zwei kleinen Kindern. Es ist eine sehr grüne Gegend, in der viel feiner Nieselregen fällt. Siepert sieht mit blondem, kurzem Haar und Bart, Brille und Kapuzenpullover aus wie ein urbaner Mittdreißiger, der beruflich irgendwas mit Medien oder Software oder beidem macht – und genau das tut er auch. In dieser ländlichen Gegend wirkt er auf den ersten Blick fehl am Platz. Aber man braucht nur ein paar Worte mit ihm zu wechseln, um zu verstehen, dass der Eindruck falsch ist. Für einen wie ihn ist es nur konsequent, auf dem Land zu wohnen: Weil er gutes Essen schätzt und weil sein Verständnis von gutem Essen viel damit zu tun hat, dass er versteht, wo die Produkte herkommen und wer sie herstellt. Es ist also nur logisch, dass er da lebt, wo er sein Gemüse und seine Milch in Hofläden und auf Marktständen kaufen kann, die direkt von den Produzenten aus dem Umland beliefert werden. Heute ist er mit dem Fahrrad an Wiesen vorbeigefahren, auf denen eine ganze Menge zufrieden wirkender Schweine mit gesenkten Schnauzen nach Futter suchten. Sie gehören zum Betrieb eines Bauern, der die Tiere nach Bioland-Kriterien und mittels Hüttenhaltung aufzieht – die Tiere haben also keine Ställe, sondern Hütten im Freien, in die sie sich zurückziehen können.
Siepert sagt, dass er ein Typ sei, der gerne Wurst isst. Wenn man ihm zusieht, wie er in seinem Haus den Lammbraten mit Quitten in den Ofen schiebt und dabei erzählt, wie großartig das Fleisch vom Kopf eines Tiers schmeckt, merkt man: Er untertreibt stark. Siepert mag nicht nur Wurst, er liebt sie. Wie über haupt Fleisch im Allgemeinen, und er ist bereit und willens, jeden Teil vom Tier zu essen. Das ist für ihn auch Überzeu gungssache. »Wenn man sich überlegt, ein Schwein wird geschlachtet, wenn es 130 Kilo wiegt, das sind 100 Kilo Schlachtgewicht. Aber davon fällt ja noch wahnsinnig viel weg. Sehr viel von diesem Fleisch landet zum Beispiel in der Hundefutterproduktion, weil die Leute das einfach nicht essen wollen«, sagt er. »Oder Schweineknochen. Das ist keine irre Zutat. Die gehören in die Brühe.« Fleisch aus dem Supermarkt kann er nicht leiden. Vor kurzem hat er zum ersten Mal Hirn gegessen. »Das war im Teig frittiert, innen wie ein sehr luftiges Rührei, außen knusprig. Sehr lecker.« Siepert betreibt die Resteverwertung konsequent. »Einmal habe ich eine Flasche Schweineblut im Kühlschrank gefunden. Das war dann doch ein ziemlicher Schreck«, berichtet Linda trocken und liefert ihrem Mann damit das Stichwort, von einem Rezept für gebackenes Blut zu erzählen. »Beim Probieren muss man aufpassen. Rohes Blut – das ist schwierig.«
Die Idee zum Porkcamp hatte er, weil er sie selbst einmal sehen wollte: die Verbindung zwischen dem lebenden Tier und dem Fleisch an der Metzgertheke. »Das war also auf eine Art reiner Eigennutz.« Als er die Idee des Schlachtfests per Internet-Konferenz unter die Leute brachte, war er selbst überrascht davon, wie sehr er damit einen Nerv traf. »Das Erstaunliche an diesem ganzen Prozess um das Porkcamp war, dass mir in dem Moment, in dem ich anfing, das zu organisieren, wahnsinnig viel Hilfe und Begeisterung entgegengebracht wurde. Die Leute haben sich richtig engagiert. Haben über den Ort nachgedacht, über die Logistik, die Rezepte. Ich musste letztlich viel weniger machen, als ich erwartet hatte.«
Es gibt Menschen, die meinen, einer, der Wurst essen wolle, müsse ein Tier auch selbst töten können. Siepert gehört nicht dazu. »Das Wort ›müssen‹ wird im Zusammenhang mit Essen viel zu viel verwendet. Ich meine einfach, man kann erstaunlich viel richtig machen, wenn man beim Essen nach dem Genießen geht. Denn die Ansprüche, die man an ein sehr gut schmeckendes Essen hat, decken sich automatisch zu einem sehr großen Teil mit denen, die man an ein moralisch vertretbares Essen haben kann«, sagt er.
Im Prinzip war das Porkcamp nichts anderes als ein Schlachtfest, wie es früher jeder Dorfbewohner kannte. Schlachtfeste sind eine Tradition, die bis in die Steinzeit zurückgeht. Die Schlachtung eines Tiers war etwas Besonderes, eine feierliche Angelegenheit und bei weitem nicht alltäglich. Das
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